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Erfahrungsberichte

Erfahrungsberichte

Lieber real oder fiktiv?

Immer wieder finden sich in den Bestsellerlisten auch Schicksalsberichte. Menschen erzählen von ihren persönlichen Erlebnissen und lassen die Leser an ihren Erfahrungen teilhaben. Teils lesen sie sich so spannend wie Krimis - doch es sind wahre Geschichten, die viel mehr können als zu unterhalten.

Alleine sitzt sie im dunklen Verlies; ein 5 qm großer Raum, in den weder Licht noch Laute dringen. Lediglich das Klappern des beständig rotierenden Ventilators durchbricht die Stille und erinnert sie daran, dass sich die Welt weiterdreht. Ein Geräusch, das für sie zur reinen Folter wird. Wütend presst sie ihre Hände auf die Ohren bis ein Klacken sie aufschrecken lässt. An der Tür macht sich jemand zu schaffen.

Auf ihrem Schulweg wird die 10-Jährige Natascha Kampusch von einem unbekannten Mann in ein Auto gezerrt und entführt. Wenig später findet sie sich in einem Kellerverlies wieder, der von da an für 3.065 Tage lang ihre Bleibe sein wird. Auf knapp 300 Seiten erzählt die junge Frau von ihrem Schicksal. Über acht Jahre wird sie von ihrem Peiniger festgehalten; völlig isoliert von der Außenwelt wird sie in einer Atmosphäre der Demütigung, Einschüchterung und Angst erwachsen, bis ihr 2006 schließlich die Flucht gelingt.

Ihr Erfahrungsbericht landet sofort auf der Bestsellerliste. Alle wollten sie lesen: die Wahrheit über die junge Frau, die nach so vielen Jahren mit einer unglaublichen Geschichte wieder aufgetaucht ist und mit ihren Medienauftritten nicht nur Mitleid erregte. Ein Buch, das sich beinahe liest wie ein Krimi. Brutal, grausam und – ja! – spannend. Und doch keiner ist.

Erfahrungsberichte – regelmäßig findet man sie auf den Bestsellerlisten. Opfer von körperlicher Gewalt wie Dave Pelzer, der in „Sie nannten mich „Es“ von den grausamen Schikanen seiner Mutter erzählt; Menschen mit außergewöhnlichen Schicksalen wie Juliane Koepcke, die als einzige einen Flugzeugabsturz mitten im peruanischen Regenwald überlebte; oder Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten wie Sophie van der Stap, die in "Heute bin ich blond" von ihrem Kampf gegen den Krebs berichtet - sie alle machten ihr Schicksal publik. Seit einigen Wochen ist es das Buch der jungen Pakistanerin Malala Yousafzai, das die Herzen der Menschen bewegt. Im Oktober 2013 wurde es in 27 Ländern veröffentlicht und ist in Deutschland heute auf Platz 13 der Spiegel Bestsellerliste. Die 15-jährige Malala hatte sich den Taliban widersetzt, für den BBC ein Blog-Tagebuch geführt und wurde schließlich durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Doch auch heute führt sie ihren Kampf gegen die Ungerechtigkeiten in ihrer Heimat weiter. Eine Lebensgeschichte, die zeigt, dass es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn es völlig ausweglos zu sein scheint; die Einblick gibt in das Leben Tausender von Menschen. 

Und vor acht Tagen brachte auch die Somalierin Waris Dirie ihr mittlerweile sechstes Buch auf den Markt. Während sie in ihrer Autobiografie „Wüstenblume“ von ihrem eigenen Schicksal berichtet, von ihrer Beschneidung, ihrer Flucht aus Somalia und ihrer Modelkarriere in Europa, widmet sie sich nun dem kleinen Mädchen Safa, das in der Verfilmung zu „Wüstenblume“ die Rolle der kleinen Waris Dirie bekam und dem nun tatsächlich die Beschneidung droht.

Es sind bewegende Geschichten: Grausam, irritierend, traurig. Sie erweitern den Horizont und führen schonungslos das Leben anderer Menschen vor Augen. Sie klären auf, ermutigen und trösten. Sie finden die verschiedensten Leser: Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, in den Büchern Trost, Hilfe oder ein Gegenüber suchen, der sie versteht; Voyeure, die durch das Leid anderer Befriedigung erfahren; Leser, die interessiert sind an dem Schicksal anderer Menschen, die über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen wollen; und sogar Täter, die auf der Suche nach "Inspiration" und „Gleichgesinnten“ sind. Und auch wenn sie sich teilweise lesen wie Romane – mit einer Handlung, die dramaturgisch ausgereifter kaum sein könnte – so sind es doch wahre Geschichten, die nicht selten Entsetzen und Betroffenheit in uns auslösen. Es ist nicht mehr der Täter, der aus der Fantasie eines Autors entsprungen ist und in einer fiktiven Welt sein Unwesen treibt – es sind Menschen, die unsere Nachbarn sein, und Opfer, die aus unserer Familie stammen könnten. Es sind Geschichten und Menschen, die nicht so schnell vergessen werden. Reale Schicksale. Echte Empathie. Das wahre Leben.

Und damit auch etwas ganz anderes als Romane, die wir zur Unterhaltung und zum Zeitvertreib lesen.

Wie ist das bei euch? Lest ihr gerne Erfahrungs- und Schicksalsberichte? Oder bevorzugt ihr fiktive Literatur?

Kommentare

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allegra kommentierte am 12. Februar 2014 um 11:24

Ich bevorzuge fiktiv, aber realistisch. Eine Geschichte, die sich so hätte ereignen können. Eine unglaubwürdige Anhäufung von Zufällen gefallen mir ebenso wenig, wie absolute Supermen oder Supergirls. Und was ich gar nicht kann sind mysthische Elemente, also irgendwelche Kreuze oder Ringe, die glühen. Fantasy mag ich auch nicht, aber das immer recht klar vom Klappentext her.

chaosbaerchen kommentierte am 12. Februar 2014 um 13:26

Ich kann das nicht pauschal beantworten, das kommt sehr stark auf das Thema an.

Wenn es sich um ein Problem handelt, das mich entweder selbst oder mein Umfeld betrifft, oder mit dem ich mich aus allgemeinem Interesse aktiv auseinander setzen will, dann bevorzuge ich Erfahrungsberichte - zum Beispiel zum Thema "Essstörungen" oder "Mukoviszidose".

Wenn es ein Thema ist, das brandaktuell ist, dem ich mich aber mehr auf der Unterhaltungs- und weniger auf der Sachebene widmen will, dann sind fiktive Erzählungen auch gut, wenn nicht sogar besser.

Ich finde Sachbücher oft ermüdend, daher greife ich in dem Fall parallel gerne zu realen Berichten, um mir ein besseres Bild machen zu können.

Manchmal bringen fiktive Geschichten den Kern der Sache aber besser auf den Punkt, weil sie objektiver sind. 

 

 

Maryann Flamel kommentierte am 12. Februar 2014 um 15:41

Ich lese fiktive Literatur lieber, aber auch gerne mal einen Erfahrungsbericht, wenn er gut und interessant geschrieben ist. Das Tagebuch der Anne Frank ist z.B. großartig.

Romane wie z.B. die von Jodi Picoult, die sehr gut recherchiert sindt, finde ich auch sehr informativ und es fühlt sich beim Lesen an wie eine reale Geschichte.

buecherwurm1310 kommentierte am 13. Februar 2014 um 09:40

Ich bevorzuge fiktive Unterhaltung, lese aber auch gerne mal realistische Geschichten. Beides kann spannend und unterhaltend sein, es kommt darauf an, was man zu sagen hat.

Blöde ist nur, dass jeder Möchtegern-Prominente auch meint, eine Biographie heruasbringen zu müssen.

Tine kommentierte am 14. Februar 2014 um 17:16

Ich lese "gerne" Romane über den 2. Weltkrieg, hauptsächlich über Juden in KZs etc.. Ich finde es so erschütternd, was damals passiert und vor allem, was die Juden und auch andere ausgestoßene Bevölkerungsgruppen erleben mussten. Schade finde ich, dass es nicht in einer so erschütternden Art und Weise im Geschichtsunterricht durchgenommen wird.

Hauptsächlich lese ich aber fiktive Geschichten, da ich mich besser darauf einlassen kann. Außerdem kann dort viel "schöneres" erfunden werden.

kommentierte am 15. Februar 2014 um 12:18

Ich lese beides gerne. Aber fiktives ist in meinem Bücherregal deutlich mehr vertreten. Wüstenblume mochte ichsehr, denn es hat auch eine aufklärende Aufgabe. Waris Dirie geht es nicht darum Geld zu verdienen, sondern auf das Schicksal der Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen, denen die Beschneidung droht. Denn nur wer über so etwas bescheid weiß, hilft vielleicht auch! Solche Art von wahren Geschichten bevorzuge ich. Aber auch andere Schicksalsreporte. Biographien wie die von Boris Becker interessieren mich allerdings nicht. 

Maraki Mary kommentierte am 15. Februar 2014 um 19:47

Ich habe mehr fiktive Bücher gelesen als Schicksalsbücher. Jedoch interessiere ich mich sehr für Schicksalsbücher bzw. Bücher über wahre Begebenheiten. Da es auf alle Fälle was anderes ist als Krimi oder Thriller.

Welche Bücher mich besonders faszinieren und schon auf meinem SuB liegen, sind Bücher über Serienmörder und deren Psyche.

nikolausi kommentierte am 15. Februar 2014 um 22:35

Ich lese in Buchform ausschließlich fiktive Literatur.  Was Erfahrungsberichte und Schicksalsberichte angeht, so reichen mir die Informationen aus der Zeitung oder Kommentarfilme im Fernsehen. Beim Lesen möchte ich nämlich gerne in eine andere Welt abtauchen. 

Schaefche kommentierte am 16. Februar 2014 um 16:09

Ich lese zum Entspannen und dann am liebsten fiktive Bücher. Allerdings lese ich auch gern Biographien wie die von Malala oder z.B. von Loki Schmidt. Da erfährt man auch viel über die deutsche Geschichte und wie früher Politik gemacht wurde. Außerdem bin ich auf die Autobiographie von Marcel Reich-Ranitzki sehr gespannt, die subt hier noch.

LESERIN kommentierte am 16. Februar 2014 um 19:45

Hm, eigentlich bevorzuge ich fiktionale Literatur. Oder ein gutes Sachbuch, oder Fachliteratur.

Erfahrungsberichte hingegen - eher nicht. Sie sind hochsubjektiv und beanspruchen Wahrheit. Oft drücken Sie zu sehr auf die Tränendrüse oder stellen sich im Nachgang als übertriebene SchilderunIgen heraus.

Ich erinnere mich dunkel an eine Kontroverse um Betty Mahmoodys "Nicht ohne meine Tochter" ( ein Erfahrungsbericht, den ich tatsaechlich gelesen habe).

Ayda kommentierte am 16. Februar 2014 um 21:13

Bin eher Leserin von fiktiver Literatur doch manchmal lese ich auch "reale" Literatur wenn mich das Thema sehr interessiert und hin und wieder erlebt man ja auch das die Bereiche ineinanderfließen.

Was ich überhaupt nicht lese muss ich zu geben sind Ratgeber!

Kitsune87 kommentierte am 19. Februar 2014 um 11:03

Ich lese auch lieber fiktive Bücher. Wenn ich mich im Buchladen zwischen Sachbüchern/realen Lebensgeschichten oder Romanen/Thrillern etc. entscheiden muss, entscheide ich mich immer für das fiktive. Den anderen Kram kann ich auch im Internet recherchieren ^^

bs1958 kommentierte am 20. Februar 2014 um 03:23

Generell lese ich auch lieber fiktive Geschichten. Wenn die Lebensgeschichte aber auch Einblick in eine andere Kultur gibt, wie bei "Die weisse Massai" (Corinne Hofmann) greife schon auch mal zu so einem Buch. 

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