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Neuerscheinung

Amra und Amir - Abschiebung in eine unbekannte Heimat

Immer wieder werden junge Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind oder einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend hier verbracht haben, in das Herkunftsland ihrer Eltern abgeschoben. Gemeinsam mit ihrer Familie oder auch allein.

Im April ist mein zweiter Roman erschienen. Er erzählt von Amra, die in Deutschland aufgewachsen ist und nach ihrem 18. Geburtstag allein ins Herkunftsland ihrer Eltern abgeschoben wird. Amra, die weder das Land noch die Sprache kennt, findet sich plötzlich ohne Geld, Wohnung und Arbeit in einer ihr völlig unbekannten Welt wieder. Sie entwickelt ihre eigenen Überlebensstrategien und wird, um sich etwas sicherer zu fühlen, zu Amir, einem jungen Mann, der sich durch Müllsammeln und Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Nina und Stefan, die mit Amra schon seit Kindertagen befreundet sind, gelingt es, Amir illegal zurück nach Deutschland zu bringen, aber auch hier hat er ohne legalen Aufenthaltsstatus keine Perspektive.

Und als wäre das nicht Problem genug, muss sich Amir, der wie sich nun zeigt, nicht nur eine Verkleidung war, die nach Gebrauch wieder abgelegt werden kann, auch mit der Frage nach seiner/ihrer Identität auseinandersetzen.

 

Dies ist keine wahre Geschichte, aber sie wurde aus Bausteinen zusammengefügt, die dem wahren Leben entnommen sind. Immer wieder werden junge Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind oder einen großen Teil ihrer Kindheit und Jugend hier verbracht haben,  in das Herkunftsland ihrer Eltern abgeschoben. Gemeinsam mit ihrer Familie oder auch allein. Auch Heranwachsende, die erst wenige Jahre in Deutschland leben, sich aber bereits sehr gut eingelebt, Freunde gefunden, eine Ausbildung begonnen haben, erleben die Abschiebung ins Ungewisse nicht viel anders als Amra. Der einzige Vorteil den sie haben sind Sprachkenntnisse, die ihnen den Anfang im „Herkunftsland“ etwas erleichtern. Dennoch stehen sie oft von heute auf morgen allein, ohne Kontakte, ohne Geld, ohne Wohnung und ohne Arbeit auf der Straße und wissen nicht, wie es weitergehen soll.

Über die Jahre gab und gibt es immer wieder Veränderungen in der deutschen Asylgesetzgebung, die neben vielen Verschärfungen auch hin und wieder Vorteile für bestimmte Gruppen mit sich bringen.

So können seit 2011 Jugendliche und Heranwachsende zwischen 15 und 21 Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, wenn sie länger als acht Jahre in Deutschland leben und einen Schulabschluss oder eine Ausbildung aufweisen. Dies soll in einem aktuellen  Gesetzentwurf noch verbessert werden.

Aber auch hier gibt es immer wieder Ausnahmen, sei es dass jemand dies nicht weiß und die Fristen versäumt oder wegen weniger Monate nicht in das Zeitfenster passt, dass irgendetwas bei den Behörden schiefgelaufen ist oder auch, dass die positive Integrationsperspektive fehlt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Jugendliche sich, wie die Kurdin Sultan Karayigit, die sich an verschiedenen prokurdischen Demonstrationen und Veranstaltungen beteiligt hat, politisch unerwünscht engagieren, wenn sie schulische Probleme haben und keinen Ausbildungsplatz finden können oder wenn sie straffällig werden. „Jugendsünden“, falscher Umgang und schlechte Lebensbedingungen werden so schnell zu schicksalsschweren Geschehnissen, die, auch wenn die Betroffenen verursachte Schäden wieder gutgemacht, ihre Strafe verbüßt und aus dem allem gelernt haben, oder wenn sie vielleicht wie andere Jugendliche mit deutschem Pass, einfach ein wenig länger brauchen, um in Schule und Beruf ihren Weg zu finden,  ihr Leben in ganz neue Bahnen lenken.

„Amra und Amir“ soll einen Eindruck vermitteln, was alles mit diesen jungen Menschen geschehen kann, wie sie versuchen zu überleben, wie sie mit ihrem Schicksal umgehen lernen müssen, wenn sie überleben wollen. Nicht alle schaffen das, immer wieder erreicht die Freunde in Deutschland die traurige Nachricht vom Selbstmord eines abgeschobenen Freundes, aber vielen gelingt es irgendwie, mit der ständigen Ungewissheit und Unsicherheit umgehen zu lernen, indem sie wie Amra, ihre ganz eigenen Strategien entwickeln.

Ganz unabhängig davon, wie erfolgreich die Betroffenen damit sind, Wege des Überlebens zu finden, stellt sich uns, die wir in gesicherten Verhältnissen aufwachsen und leben jedoch immer die grundsätzliche Frage:

Woher nehmen „wir“, woher nehmen diejenigen, die sich von uns zu unseren politischen Vertretern wählen lassen, das Recht, Menschen in ein Leben ohne Perspektive, mit der ständigen Ungewissheit, was am nächsten Tag geschieht, in dem Krank- und Altwerden eigentlich nicht vorkommen darf, zu stürzen, während sie selbst in Ruhe leben und von einer gesicherten Gesundheits- und Altersversorgung ausgehen können?

 

 

Maria Braig, Amra und Amir

Verlag 3.0