Rezension

40 Tage Nacht

40 Tage Nacht - Olivier Truc

40 Tage Nacht
von Olivier Truc

Im Laufe der Jahre habe ich zahlreiche Skandinavienkrimis aus Norwegen, Schweden und Island gelesen, keiner davon ist aber vergleichbar mit "40 Tage Nacht" von Olivier Truc, und das liegt nicht alleine daran, dass der Autor überraschenderweise Franzose ist. Das Setting ist in Lappland und damit grenzübergreifend in Norwegen, Schweden und Finnland angesiedelt. 

Im Laufe der Handlung bekommt man einen Einblick in die Lebensbedingung des letzten indigenen Volkes in Europa, der Samen. Die Ausbeutung dieser Menschen in der Vergangenheit, aber auch der noch heute herrschende Rassismus ist das zentrale Thema des Romans. Bislang hatte ich die Skandinavier aufgrund meiner Erfahrungen als Touristin durch die rosa Brille gesehen, muss mein positives Bild nun aber an manchen Punkten in Frage stellen.

Oliver Truc spannt einen weiten Bogen von der Vergangenheit bis in die Jetztzeit und verknüpft auf raffinierte Art und Weise die Geschichte der Samen mit seinem heutigen fiktiven Fall. Die zeitliche Verortung der Vorgänge hat bei mir zugegebenermaßen nicht immer funktioniert, aber rückblickend betrachtet ist die Geschichte logisch und schlüssig aufgebaut. 

Die Handlung lädt zum Spekulieren ein und dieser Einladung bin ich gerne gefolgt, wenn ich auch nicht immer richtig lag. Leider lässt der Autor seine LeserInnen gegen Ende ein wenig am langen Arm verhungern; so sorgfältig und ausführlich er das ganze Konstrukt seiner Geschichte aufgebaut hat, so schnell geht es am Ende und einiges musste ich mir dann doch selbst zusammenreimen, auch blieben einige Fragen offen.

Die beiden Hauptfiguren sind Mitglieder der Rentierpolizei, von deren Existenz ich bisher nichts wusste. Umso interessanter fand ich das Thema; die Belange der Rentierzüchter, ihr hartes und entbehrungsreiches Leben im Dienste ihrer Tiere, die ständige Suche nach Weidegründen, die lange Polarnacht, in der für 40 Tage lang keine Sonne scheint... eine faszinierende, aber auch unerbittliche Welt. 

Klemet und Nina fand ich als Ermittlerpaar außergewöhnlich und wunderbar gezeichnet; ein kontrastreiches Kollegenteam, deren Konflikte im kleinen den Konflikt im großen widerspiegeln. Klemet ist Sami und norwegischer Polizist, was natürlich im Widerspruch steht und ihn während seiner Ermittlungen immer wieder in Schwierigkeiten bringt, nicht zuletzt mit den eigenen Kollegen, die ihn als Quotensami sehen und ihm seine Andersartigkeit spüren lassen; aber auch die Sami begegnen ihm mit Misstrauen, so dass er ständig zwischen den Stühlen sitzt. 

Nina dagegen kommt frisch von der Polizeischule; sie ist unbefangen, spontan und intuitiv. Wo Klemet zögert und grübelt, wird sie aktiv und übernimmt auch Verantwortung. Durch ihre Unbedarftheit stellt sie genau die Fragen, die ich als Leserin auch gestellt hätte und übernimmt somit eine wichtige Rolle im Aufbau der Geschichte. Ganz toll fand ich es zu lesen, wie die beiden im Laufe der Handlung zu einem Team zusammen wachsen und vor allem durch ihre Eigeninitiative den Fall aufklären. Das fand ich so erfrischend im Vergleich zu den oft klischeehaften, depressiven und alkoholsüchtigen Ermittlern in skandinavischen Krimis; hier unterscheidet sich der Roman deutlich zu anderen des Genres.

Die Bösewichte sind zahlreich und in ihren Facetten ebenfalls sehr interessant gezeichnet; besonders hervorheben möchte ich einen französischen Geologen, der in Sachen Prospektion in den Bergen Lapplands unterwegs ist und nicht nur für die Sami das Böse verkörpert; aber auch die Politiker und Angehörige der Polizei zeichnen ein düsteres Bild. Erfrischend dagegen halten einige wenige Originale, wie zum Beispiel eine schwedische Geologin, die mit spannenden Informationen zum Thema Bodenschätze aufwartet und Klemets Onkel, der uns in die Kunst des Joikens einführt, aber auch ein samischer Trommelexperte, der leider erst sehr spät auftaucht und die mystische Symbolik samischer Trommeln im allgemeinen und im besonderen erläutert.

Der Sprachstil von Olivier Truc gefiel mir ebenfalls sehr gut; er ist nordisch-zurückhaltend und griffig, wenn es um die Fakten geht. Umso mehr stechen die Passagen heraus, in denen es um Landschaften und Naturphänomene geht, wie zum Beispiel die Beschreibung der Nordlichter, die zurückkehrende Sonne und das Wesen der Rentiere. Denn hier wechselt Truc zu einem poetischen, eindringlichen Stil, der eine große Liebe zum Land und seiner Natur verrät. Diese Szenen gingen mir unter die Haut und versetzten mich in eine mystische Polarwelt.

Insgesamt hat mich der Roman trotz einiger kleiner Kritikpunkte voll überzeugt und ich würde mich sehr freuen, weitere Fälle mit Klemet und Nina aus Lappland zu lesen.