Rezension

700 Seiten Cluedo

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert - Joël Dicker

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
von Joël Dicker

Eigentlich wollte ich mir das Buch schon 2013 kaufen, aber war zu geizig mir das gebundene Buch zu kaufen. Jetzt bereue ich, dass ich auf das Taschenbuch gewartet und es mir nicht schon letztes Jahr gebunden gekauft habe. 
Was ist "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert"?? Das ist schwer zu sagen. Es ist ein Buch im Buch im Buch. Also fast wie bei "Inception". Nur eben nicht mit Träumen.
 Vieles deutet auf eine herzzerreißende Geschichte über eine unmögliche Liebe hin. Aber als Leser wissen wir von Beginn an, dass die Geliebte ermordet wurde. Herzzerreißende Liebesgeschichten sind auch so gar nicht meins, sodass ich ohne den Mord das Buch wahrscheinlich direkt aus der Hand gelegt und mich geärgert hätte, dass ich mir das Buch gekauft habe. Dieser Umstand sollte schon beweisen, dass in diesem 700 Seiten - Wälzer mehr steckt als das.  So entwickelt sich eine Art Detektivroman in bester Cluedo-Manier. Das ganze Dörfchen könnte als Täter infrage kommen und noch mehr mögliche Motive stehen zur Auswahl. Und lange, lange bleibt das Rätsel ungelöst. Ich hatte zehn Verdächtige, also quasi jede Person, die mal in dem Buch aufgetaucht ist + immer einen Spot für einen unbekannten Irren, der aus heiterem Himmel auftaucht. Also insgesamt 11 Verdächtige. Irgendwann, nach ca. 600 Seiten, hat es mich nochmal so richtig aus dem Schaukelstuhl geworfen und ich hätte gewettet, dass zumindest einer meiner beiden Hauptverdächtigen der Mörder war.. Zum Glück wollte niemand mit mir wetten. 
Wie macht Dicker das? Er schafft es mit Wendungen und Überraschungen en masse, den Leser aufs Glatteis zu führen. Darüber hinaus kann man sich einfach nicht sicher sein, was wahr ist und welcher Zeuge eine Kleinigkeit bewusst oder unbewusst auslässt. Das alles führt dazu, dass dieser Schinken nicht aus der Hand zu legen ist und ich gelesen habe bis meine Augen zugefallen sind. Als ich dann nachts, bei brennendem Nachtlicht aufgewacht bin, habe ich einfach weitergelesen. Das Buch ist tatsächlich über 700 Seiten zu keinem Zeitpunkt langweilig. Und bis zum Schluss erschütternd.
Der Plot ist zu ausgeklügelt, als dass man trotz diverser Zeitsprünge und Daten und der ganzen Verstricktheit das Gefühl hätte, den Überblick zu verlieren.
Abgesehen davon, dass es sich also um einen Krimi handelt, ist das Buch auch ein Buch über eine Männerfreundschaft oder zunächst über eine Meister-Lehrling-"Beziehung", die zur Collegezeit des Lehrlings beginnt. Zu diesem Zeitpunkt ahnt man noch nicht wie viel die beiden tatsächlich gemeinsam haben. Eine Rede am College hat mich übrigens genauso Tränen lachen lassen, wie die Mutter des Studenten und späteren Schriftstellers. Die nervt zwar durchweg unfassbar sehr, aber der ein oder andere verzweifelte Lacher bleibt. Nur nervig ist hingegen das kleinbürgerliche, eingeschränkte Denken der Bürger. Sowohl 1975, als auch 2008. Furchtbar.
Ganz ohne die Liebesgeschichte geht es dann natürlich doch nicht. Und die ist mit das dramatischste und traurigste, was ich bisher gelesen habe. Ob es daran liegt, dass ich solche Geschichten grundsätzlich nicht lese?? 
Es ist schon sehr kitschig, wenn über die eine große Liebe, die man nie wieder im Leben trifft, gesprochen wird und welche Hindernisse sie überwinden muss. Klingt nach Soap Opera?? Jaaa, aber das ist hier egal, das Buch braucht diese Tragik und schlechter wird es dadurch überraschenderweise auch nicht.
Dicker kreiert in "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" eine äußerst tragische Figur. Welche das ist, bleibt zunächst unter der Oberfläche. Das Cover passt in diesem Fall also auch perfekt, denn es wirkt, wie ein Blick hinter die Fassade bzw. unter die Oberfläche.
Zwei Kleinigkeiten haben mich gestört: Ein Mord wird zwar aufgeklärt, wie die Durchführung logisch durchführbar war, ist mir dennoch ein Rätsel.
33 Jahre nach einem Mord erinnern sich alle Befragten haarklein an alles, was sie vor 33 Jahren gesagt haben. Alles. Andererseits weiß auch jeder was er am 11. September 2001 gemacht hat. 
Also habe ich auf 727 Seiten nur einen Kritikpunkt, Chapeau Monsieur Dicker.

Fazit
Legt Blatt und Stift bereit und macht euch auf die Suche nach der Wahrheit über den Fall Nola Kellergan!!