Rezension

Abseits des gängigen Mainstreams

Half Bad - Das Dunkle in mir
von Sally Green

Bewertet mit 4 Sternen

Sie hält den Rahmen mit dem Foto hoch und lässt ihn dann schräg nach unten sausen, mit der Rahmenkante quer über meinen Wangenknochen. 
"Fass dieses Bild nie wieder an."
Ich rühre mich nicht.
"Hörst du mich?"
Da ist Blut an der Ecke des Rahmens.
"Deinetwegen ist sie tot."
Ich weiche zur Wand zurück.
Jessica schreit mich an: "Deinetwegen hat sie sich umgebracht!"

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INHALT:
Nathan lebt in einer Welt, in der die Menschen - genannt Fain - mit den überwiegend unerkannt bleibenden Hexen zusammenleben. Hexen werden unterteilt in schwarze und weiße, und während letztere sich selbst als gut ansehen und die Regierungsmacht inne haben, gelten die schwarzen als mörderisch und böse. Es ist nicht verwunderlich, dass Nathan hier einen schweren Stand hat, denn er ist halb schwarz und halb weiß, der Einzige seiner Art. Immerzu ist er auf der Flucht vor den Schergen der weißen Hexen, gleichzeitig weiß er jedoch auch nicht, ob er denn zu den schwarzen gehört...

MEINE MEINUNG:
Sally Greens "Half Bad" ist der Auftakt einer Reihe um Hexen, der sich erst einmal gar nicht so originell anhört - der Kampf zwischen Gut und Böse ist schließlich ein altbewährtes Prinzip. Tatsächlich ist hier jedoch das Interessante, dass es keine so einfache Schwarz- und Weißzeichnung gibt wie sie hier propagiert wird. Stattdessen können sich weder Nathan noch der Leser je sicher sein, wer eigentlich auf der richtigen Seite steht und wer nicht. Der Schreibstil ist dabei sehr jugendlich gehalten, die Sätze sind oftmals kurz und prägnant. Dies ist anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, weil es so abgehackt wirkt, passt aber gut zum Protagonisten.

Nathan ist nämlich ein eher ruheloser Charakter, der selten still sitzen und ebenso selten seine Wut in Zaum halten kann - die Wut über die Ungerechtigkeit der Behandlung ihm gegenüber, die Wut über dieses Leben, das er führen muss. Er ist eine spannend ausgearbeitete Figur, die dennoch immer authentisch bleibt. Denn obwohl er stark und mutig ist, zeigt er doch ebenso Schwäche, wenn es ganz normal ist, zusammenzubrechen. Aber auch die anderen Charaktere überzeugen durch ihre Vielfältigkeit - sein Halbbruder Arran, liebevoll und gutmütig; sein späterer Vormund Celia, die sich ganz anders entpuppt als gedacht; oder auch seine große Liebe Annalise, die ihm zeigt, was Freundschaft bedeutet.

Die Geschichte selbst ist düster, brutal und erschreckend. Nathan führt von Anfang an sein sehr schweres Leben, das geprägt ist von Verboten und Vorschriften. Schon als Kind quält ihn seine Halbschwester Jessica, und später sorgen die weißen Hexen dafür, dass sein Leben wenig lebenswert bleibt. Hinzu kommt, dass er nicht weiß, woran er bei seinem Vater ist, den er noch nie getroffen hat, und ob dieser tatsächlich die Grausamkeit und Skrupellosigkeit besitzt, die ihm nachgesagt wird. Es gibt zwar auch lichte Momente für Nathan und auch eine kleine Liebesgeschichte spielt eine Rolle, nie wird das jedoch besonders aufgebauscht, was den Roman stark von den gängigen Romantasy-Klischees abhebt. So bleibt das Ganze trotz der phantastischen Grundstory sehr, sehr realistisch.

Sally Green versteht es dabei wunderbar, einen als Leser in Atem zu halten und immer wieder neue Überraschungen zu präsentieren. Zugegeben, viele habe ich persönlich vorher schon erahnt, das muss aber nicht für jeden Leser gelten. Die Spannung jedenfalls ist immerzu da und lässt kaum jemals nach, da Nathan nach einer kurzen Verschnaufpause sehr schnell wieder in große Schwierigkeiten gerät. Die Welt, in der er sich bewegt, ist interessant und schlüssig aufgebaut, auch wenn es mir persönlich ein wenig gegen den Strich ging, wie abfällig die Menschen von allen Charakteren beschrieben werden - aber vielleicht ändert sich das ja noch. Das Ende ist sehr offen und lässt viele Geheimnisse ungelöst, weswegen die nachfolgenden Bände eigentlich Pflicht sind. Ich jedenfalls fiebere Teil 2 nun definitiv entgegen.

FAZIT:
"Das Dunkle in mir" ist der erste Band der "Half Bad"-Trilogie von Sally Green, die sich mit Gut und Böse auseinandersetzt und allem, was dazwischen liegt. Der Roman beeindruckt insbesondere durch die wunderbare Charakter-Zeichnung und die interessante und fesselnde Geschichte. Von mir gibt es gute 4 Punkte und eine absolute Empfehlung!