Rezension

Abwechslungsreicher und sehr spannender Psychothriller

Krähenmädchen - Erik Axl Sund

Krähenmädchen
von Erik Axl Sund

Bewertet mit 5 Sternen

Man kann schon davon ausgehen, dass dieser Psychothriller keine leichte Kost ist, wenn man sich die Begriffe sexueller Missbrauch, Folter, Ermordung, Kindersoldat, Pädophilie vor dem inneren Auge hält.

In diesem Psychothriller wird am Anfang ein Haus beschrieben, dass bis dato eine unbekannte Person bewohnt, die wiederum einen ganz bestimmten Raum in dem Haus verändert. Es stellt sich heraus, dass diese Person eine „sie“ ist. Sie trägt einen Jungen in den neugestalteten Raum aus Styropor, Holzleisten, Stromkabel und einem Bücherregal vor dem Raum, so dass man den Raum erst gar nicht vermutet, dass er existiert.

Kurz darauf wird ein toter Junge in der Nähe der Pädagogischen Hochschule in Stockholm in einem Gebüsch gefunden. Die Kriminalkommissarin Jeanette Kihlberg und ihr Kollege Jens Hurtig werden zu dem Fundort gerufen. Es bleibt nicht bei dem einen toten Jungen, sondern es müssen noch weitere Jungen sterben, und an verschiedenen Orten aufgefunden. Merkwürdig ist bei den Jungen, das man nicht weiß, wer sie sind, und woher sie kommen. Sind sie unbegleitete Flüchtlingskinder?

Parallel spielt die Psychotherapeutin Sofia Zetterlund eine Rolle in diesem Thriller. Zum einen behandelt sie Menschen mit dissoziativen Störungen, das heißt, dass diese Menschen traumatisiert sind, und eine Schutzfunktion aufbauen, und in eine andere Person schlüpfen. Der ehemalige Kindersoldat Samuel Bai aus Sierra Leone gehört zu Zetterlunds Patienten mit dieser psychischen Erkrankung. Sofia nahm sich diesen Fall ausnahmsweise an, weil sie während des Bürgerkriegs als Ärztin in Sierra Leone gearbeitet hat, und sich halbwegs in die Kindersoldaten hineinversetzen kann. Allerdings widerfuhr ihr ein einschneidendes Ereignis in Sierra Leone. Nachdem Sofia mit Samuel ein zwei Gespräche geführt hat, findet man ihn eines Tages tot auf.

Karl Lundström ist ein weiterer Patient von Sofia Zetterlund, allerdings soll dieser mit Kinderpornographie in Zusammenhang gebracht werden, und er wird gleichzeitig mit dem Verschwinden und den Tötungen der unbekannten Jungen gebracht. Als Karl Lundström vom Gericht verklagt und direkt inhaftiert wird, unternimmt er einen Selbstmordversuch. Er überlebt zwar, aber er liegt im Koma.

Die dritte Patientin von Sofia Zetterlund ist Victoria Bergman, die von ihrem eigenen Vater Bengt Bergman bereits als Kleinkind sexuell missbraucht wird. Sofia führte viele Gespräche mit Victoria Bergman, die auf ein Diktiergerät aufgenommen hat, und diese Gespräche von Zeit zu Zeit anhört. Eine grausame Sprache lässt die vergangenen Ereignisse in Victorias Leben erahnen.

Jeanette Kihlberg und ihr Team stehen vor großen Herausforderungen, und immer neuen Hinweisen, die das Schlimmste nur erahnen lassen. Eines Tages kommen Jeanette Kihlberg und Sofia Zetterlund dienstlich in Kontakt, um die Serie der Jungenmorde mit einem der Patienten von Sofia in Verbindung bringen zu können. Die Einzige, die persönlich gegenüber Jeanette nie in Erscheinung getreten ist, ist VICTORIA BERGMAN. Wer ist diese Victoria Bergman?

 

Das schwedische Autorenduo Jerker Eriksson und Hakan Axlander Sundquist verbergen sich hinter dem Autorennamen ERIK AXL SUND.

Die beiden Autoren schufen einen facettenreichen Psychothriller, der teilweise an die Grenze der Unvorstellbarkeit gelangt. In dieser Geschichte wurden auf der einen Seite das Ermittlerteam und der polizeiliche sowie juristische Apparat um Jeanette Kihlberg geschaffen, und auf der anderen Seite die bösen Figuren, die hauptsächlich Männer sind in den Rollen der Missbrauchsväter, Pädophilen, Vergewaltiger und Mörder. Dazwischen steht Sofia Zetterlund, die Psychotherapeutin, die ebenso traumatische Ereignisse erleben musste. Und im Schatten all dieser Personen steht Victoria Bergman, die das Schlimmste erlebte, was man niemanden wünscht, weder für ein Kind noch für einen Erwachsenen. Opfer werden zu Tätern und Täter werden zu Opfern könnte man manchen Figuren zuordnen. Mit diesen komplexen Figuren entwickelten die Autoren eine spannende und abwechslungsreiche Geschichte, die einem beim Lesen das Herz höher schlagen lässt, und man möchte nicht wieder aufhören zu lesen. Aber man braucht auch Lesepausen, um diesen Stoff verdauen zu können.

Man erfährt über bestimmte Personen – zum Beispiel Jeanette Kihlberg, Sofia Zetterlund, Karl Lundström – auch aus deren Privatleben relativ viel, wodurch die Figuren lebendig erscheinen. Das Privatleben – vor allem das von Jeanette Kihlberg – ist problematisch und konfliktgeladen. Manche Problematiken und Wendungen in der Geschichte sorgen für Überraschungen, die bei diesen Thriller wiederum für Unterhaltungswert sorgt, und die Geschichte am Laufen hält.

 

Dieser Psychothriller hat mich im Nachhinein so überrascht, dass ich ihn als den besten meiner bisher gelesenen Psychothriller bezeichnen kann. Wer nicht vor bildhaftem Skrupel, Gewalt und psychologischer Raffinesse zurückschreckt, kann ich diesen ersten Band der Trilogie empfehlen. Das Kopfkino bleibt nicht aus. Der erste Band „Krähenmädchen“ hat ein offenes Ereignis, so dass man den zweiten Band „Narbenkind“ lesen muss.