Rezension

Albtraumhafte Kreuzfahrt mit Schwächen

Passagier 23
von Sebastian Fitzek

Bewertet mit 3.5 Sternen

"Menschliches Blut:
- 44 Prozent Hämatokrit
- 55 Prozent Plasma
- Und eine hundertprozentige Sauerei, wenn es aus einer
  punktierten Ader unkontrolliert durch den Raum spritzt."
[Prolog - Passagier 23]

Inhalt:
Jedes Jahr verschwinden auf hoher See rund 20 Menschen spurlos von Kreuzfahrtschiffen. Noch nie kam jemand zurück. Bis jetzt ... Martin Schwartz, Polizeipsychologe, hat vor fünf Jahren Frau und Sohn verloren. Es geschah während eines Urlaubs auf dem Kreuzfahrtschiff „Sultan of the Seas“ – niemand konnte ihm sagen, was genau geschah. Martin ist seither ein psychisches Wrack und betäubt sich mit Himmelfahrtskommandos als verdeckter Ermittler. Mitten in einem Einsatz bekommt er den Anruf einer seltsamen alten Dame, die sich als Thrillerautorin bezeichnet: Er müsse unbedingt an Bord der „Sultan“ kommen, es gebe Beweise dafür, was seiner Familie zugestoßen ist. Nie wieder wollte Martin den Fuß auf ein Schiff setzen – und doch folgt er dem Hinweis und erfährt, dass ein vor Wochen auf der „Sultan“ verschwundenes Mädchen wieder aufgetaucht ist. Mit dem Teddy seines Sohnes im Arm …

Meine Meinung:
Selten hat ein Buch für mich derart faszinierend begonnen und mich so mitgenommen wie "Passagier 23". Und genauso selten hat ein Buch - im Gegensatz dazu - so zwiegespalten geendet, dass ich mir bis jetzt unsicher bin, was ich von der Geschichte halten soll. Sebastian Fitzek ist bekanntlich DER Mann, wenn es um das Genre Psychothriller geht und mit eben dieser Erwartung (als Fitzek-Neuling) ging ich an "Passagier 23" - enttäuscht wurde ich nicht, aber völlig überzeugt auch nicht. Neben Brutalität und Spannung neigt Fitzek in "Passagier 23" (ich weiß nicht, wie das in seinen anderen Büchern ist!) etwas zur Überspitzung und hat mich so mit einigen Wendungen zwar überraschen können, aber auch etwas ablehnend zurückgelassen. Die Grenze zwischen Authentizität und Übertreibung war relativ dünn und wurde das ein oder andere Mal definitiv überschritten - ob das allerdings am Ende ein weniger lesenswertes Buch aus "Passagier 23" macht, kann man im Folgenden erfahren...

Um es vorweg zu nehmen: Spannungsprobleme hat dieses Buch wahrlich nicht. Immer wieder und mit der ersten Seite bringt es Leser und Protagonist in Situationen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt und dazu bringen, unbedingt ganz schnell weiterlesen zu müssen. Sowieso erschafft Fitzek mit einem flüssigen und spannungsgeladenen Schreibstil sofort und bis zum Ende ebendieses Drang. "Passagier 23" liest sich weg wie nichts und beinhaltet so einige ekelerregende, schockierende und grausame Thematiken, mit denen man im realen Leben definitiv nicht konfrontiert werden will. Das Rahmenszenario mit dem Kreuzfahrtschiff bietet dabei eine faszinierende wie unheimliche Kulisse - wie es in dem Buch gut umschrieben wird: das Schiff ist wie eine Stadt, nur ohne Polizei und ohne die Möglichkeit, ihr zu entfliehen, ohne von den Wellen verschlungen zu werden. Auch die Hintergrunddetails, die dem Leser direkt zu Anfang des Buches zu der Kreuzfahrtbranche geliefert werden, haben dem Szenario noch einmal den nötigen Biss gegeben.

Nicht einmal an Humor fehlt es der Geschichte, was durchaus an der schrulligen Gerlinde Dobkowitz liegt. So sind die Figuren ein buntes Gemisch unterschiedlicher Charaktere, was auch nötig ist, da das Buch aus unzähligen Perspektiven geschrieben ist und so viele verschiedene Szenarien beleuchtet, die teils in einander übergehen. Protagonist Martin Schwartz ist dabei sicherlich eine gute Konstante für den Leser und bleibt als Projektions- und Sympathieträger ein angenehmer, wenn auch nicht unbedingt 'warmer' Protagonist. Er bleibt relativ blass und distanziert, was mich persönlich dann und wann daran gehindert hat, Mitleid mit ihm zu empfinden. Die verschiedenen Perspektiven bieten Abwechslung und setzen den Fokus immer wieder auf andere Szenen, wobei ich nicht alle gelungen fand und das Buch - wie bereits gesagt - oft durch die Überspitzung einiger Problematiken an Glaubwürdigkeit verloren hat.

Die Auflösungen und Wendungen sind durchaus alle spannend und unvorhersehbar, aber am Ende habe ich das Buch nicht mit dem berühmten Thriller-Aha-Effekt geschlossen oder mit dem Gefühl ein umwerfendes Buch gelesen zu haben. Einige Dinge waren gut und haben mir gefallen, gerade auch die sehr grausamen Themen, die gut in das Geschehen eingewebt worden, haben dazu geführt, dass man sich mit Dingen beschäftigt, an die man sonst am liebsten gar nicht denken möchte. Andererseits waren viel zu viele andere Dinge einfach viel zu übertrieben und unglaubwürdig dargestellt - hier gehe ich natürlich nicht ins Details, weil ich niemanden spoilern möchte, allerdings kann man wohl sagen, dass ziemlich viel auf ziemlich wenigen Seiten geschieht und das auf Dauer tatsächlich ein wenig anstrengend ist. Ansonsten sollte man sich mal die Seite 23 und das Lesezeichen genauer ansehen...

Fazit:
Mit "Passagier 23" hat Sebastian Fitzek ein Albtraumszenario geschaffen und noch dazu eine spannende und unterhaltsame Geschichte, die jedoch nicht immer ganz glaubwürdig wirkt. Für verhältnismäßig wenig Seiten geschieht eine ganze Menge und diese Überflutung an Wendungen und Aufdeckungen kann schnell anstrengend werden, außerdem neigt die Geschichte zur Überspitzung, was mir nicht immer ganz so gut gefallen hat. Dennoch: Als spannender Psychothriller macht "Passagier 23", was es soll - es unterhält, zeigt dem Leser grausame Szenarien auf, die man lieber niemals so erleben will und baut von Anfang bis zum Ende Spannung auf. Kein Lieblingsbuch und auch nicht der beste Thriller, den ich je gelesen habe, aber dennoch lesenswert.