Rezension

All that Jazz

Die Musik der verlorenen Kinder
von Mary Morris

Bewertet mit 4 Sternen

Nachdem ich einige kritische Rezensionen zu diesem Buch gelesen habe, wollte ich es schon fast nicht mehr lesen. Gut, dass ich es getan habe, ich bin positiv überrascht. 

Hier bekommt man plastisch und gut recherchiert ein Stückchen Zeitgeschichte erzählt.   
Im Chicago der 20er Jahre schlagen sich zwei begnadete Musiker durchs Leben. Benny Lehrman vergisst die Welt, wenn er Klavier spielt, kann Alltagssituationen so eindrucksvoll musikalisch umsetzen, dass auch Zuhörer die Welt vergessen. Sein schwarzer Freund Napoleon schafft Ähnliches mit der Trompete. Sie entdecken den Jazz, der Chicago im Sturm erobert. 

Das Buch holt weit aus und bettet die Handlung ein zwischen den Weltausstellungen in Chicago 1893 und 1933, eine hübsche Idee. Man erfährt vordergründig die Geschichte Bennys und seiner Familie und auch die der kleinen Pearl, die immer wieder den Weg der beiden Musiker kreuzt. Und nebenbei erlebt man, wie aus der kleinen Stadt Chicago eine Metropole wird, die für Musik und ihr Nachtleben steht, wo Al Capone regiert und wo in Flüsterkneipen trotz Prohibition der Alkohol in Strömen fließt.   

Immer wieder werden authentische Ereignisse eingeflochten. Aufsehenerregende Kriminalfälle, die Chicago bewegten, finden Erwähnung, bekannte Musiker wie Lois Armstrong, Bix Beiderbecke oder King Oliver bekommen ihre Auftritte. Die Zeit wird lebendig, das macht Spaß und ist interessant. 
Die eigentliche Geschichte dagegen bleibt etwas blass. Die Erzählweise ist zu nüchtern, um wirklich mitzureißen, die Figuren quälen sich oft mit hölzernen Dialogen. Hier und da wird auch sehr detailverliebt Musikgeschichtliches referiert. Das ist wohl das, was vielen den Spaß an dem Buch verdorben hat.   

„Die Musik der verlorenen Kinder“ ist nicht die anrührende Schmonzette, die das Cover verspricht. Wer eine Liebesgeschichte im Musikermilieu der roaring Twenties lesen will, ist hier falsch. Wer aber etwas über die Geschichte des Jazz und das wilde Chicago der 20er Jahre erfahren möchte, sollte es lesen. Mir hat es gefallen. 

Kommentare

AnneMF kommentierte am 22. Februar 2017 um 09:59

Ich lese gerne Bücher aus den 20, 30 ziger Jahren. Deine Rezi macht mich neugierig auf das Buch

wandagreen kommentierte am 22. Februar 2017 um 10:06

Guck an! Manche Bücher gewinnen hintenraus!

Sursulapitschi kommentierte am 22. Februar 2017 um 10:10

Manchmal schon! :-)