Rezension

Alles oder nichts

Der Allesforscher - Heinrich Steinfest

Der Allesforscher
von Heinrich Steinfest

Bewertet mit 4 Sternen

Manches kommt. Und manches kommt geballt.”
Zitat, Seite 48

Heinrich Steinfest ist mit seinem “Allesforscher” ein verrücktes Potpourri aus Abenteuerroman, Selbstfindungstrip und Familienporträt gelungen. Der Leser wird Augenzeuge der schrägsten und aberwitzigsten Situationen, die nicht nur für jede Menge Belustigung sorgen, sondern sich auch auf nonchalante Weise in die Geschichte einfügen. So wird Sixten Braun, Protagonist von Steinfests Geschichte, ungewollt zur Zielscheibe öffentlichen Gespötts.
Es sind die Gedärme eines explodierenden Pottwals in Tainan, die ihn am Kopf treffen; sein Flieger nach Taipeh, der über dem ostchinesischen Meer abstürzt und ihn mit einer Hand voll Passagiere ausspuckt, und die Schwimmweste seines verhassten, erst kürzlich mit einem Lottogewinn gesegneten Sitznachbarn, die er in Sekunden der Panik zu fassen bekommt. Auf dem mit Flugzeug-Bruchstücken übersätem Meer wird eine schaukelnde Boje zu Sixtens lebensrettendem Unterschlupf. Dass ihn im Inneren dieser Boje keine bloße Leere, sondern ebenjener Sitznachbar erwartet, dessen Schwimmweste Sixten sich gekrallt und den er sich längst in die Untiefen des Meeres gewünscht hat, scheint den Leser nicht groß zu verwundern, sondern gar zu amüsieren. Man könnte sagen: Ironie des Schicksals.

“Der Mensch geht in Fallen. Er sieht sie ganz deutlich, jedes Detail, nur eines sieht er nicht, die Wege, die um diese Fallen herumführen.”
Zitat, Seite 79

Die Situationen sind ebenso skurril wie genial. Steinfest scheint sich unterhaltungstechnisch die unmöglichsten Dinge aus dem Ärmel zu schütteln. Die Skurrilität der Dinge scheint hier keiner zu hinterfragen, sondern sich förmlich herbeizusehnen. Nirgendwo anders scheint unkonventionell so willkommen wie hier. So erzählt der Autor auf höchst amüsante und unverblümte Art und Weise die Geschichte eines Mannes, dessen Leben von einer Sensation zur nächsten eilt. Für das Leben des Protagonisten scheint der Autor einen besonders turbulenten und kurvenreichen Weg vorgesehen zu haben, der ihn vom erfolgreichen Manager zum bescheidenen Bademeister, vom Kinderfeind zum Vater und vom familiären Außenseiter zum Bruder im Geiste werden lässt.

“Ich bin kein Zyniker. Zynisch sind die, die allen Ernstes meinen, an einem Computer zu arbeiten, auf dem ein angebissener Apfel klebt, sei irgendwie wohltätig. Oder Nudeln zu essen, in denen kein Ei steckt. Als seien solche Nudeln vom lieben Gott persönlich vorgekaut worden.”
Zitat, Seite 15

In Tainan, in der Sixten aufgrund seiner folgereichen Walbegegnung etwas länger verweilt als geplant, begegnet er, trotz bestehender Ehe in Deutschland, der Frau fürs Leben. Doch reicht die Zeit nur für ein kurzes Intermezzo, dessen Intensität Sixtens Leben sehr viel mehr Würze verleiht, als jemals gedacht. Denn sieben Jahre später steht ihm ein Kind gegenüber, von dem die Behörden behaupten, er wäre sein Sohn. Trotz asiatischer Augen. Die Unmöglichkeit dieser Verwandtschaft scheint klar auf der Hand. Schließlich hatte Sixten eine Affäre mit einer deutschen Ärztin und keiner Asiatin. Er fühlt sich mächtig verarscht. Doch als er in die Augen des kleinen Simon blickt und die Hand des Jungen in seiner spürt, wird er weich und erklärt sich zu einer Adoption bereit. Das Kind seiner großen Liebe. Ein Stück der Mutter, deren plötzlicher Tod ihm den Boden unter den Füßen nimmt.

“Ich war vernarrt in diese Konstellation, diesen speziellen Stand der Gestirne. Vernarrt in die Ausschließlichkeit, in das Gefühl, ein Höhepunkt geschehe, der in keiner Weise wiederholt werden könne.”
Zitat, Seite 45

“Sie schenkte mir einen Augenaufschlag, so, wie ein Fächer die Luft antreibt und mit leichter Verzögerung einen vom Plafond hängenden Faden bewegt. Ja, als der Luftstrom ihres Augenaufschlags mich erzittern ließ, ganz leicht, ein Faden meiner selbst, war Lana bereits gegangen.”
Zitat, Seite 46

Der Junge, dessen Sprache kein Mensch dieser Welt zu übersetzen im Stande scheint, wird für den mittlerweile bodenständig gewordenen Bademeister Sixten zur Herausforderung und zum größten Geschenk seines Lebens. Denn obwohl eine sprachliche Kommunikation zwischen den beiden ausgeschlossen ist, scheint die Harmonie zwischen den beiden alles Nötige in die Wege zu leiten. Simons Persönlichkeit sorgt schon bald für eine Menge Überraschungen, die Sixtens Leben um ein Vielfaches bereichert. Es ist der Beginn einer berührenden Vater-Sohn-Konstellation und eines gemeinsamen Abenteuers, bei dem Altlasten aus der Vergangenheit abgestriffen und Seelenfrieden gefunden werden kann.

Auch wenn mich Steinfests “Allesforscher” wirklich begeistern konnte und die außergewöhnlichen Zwischenfälle für höchste Unterhaltung sorgten, ebbte die Euphorie zum Ende hin etwas ab. Grund dafür ist das meines Erachtens lasche, etwas seichte Ende, das dem ganzheitlichen Spektakel dieses Roman irgendwie nicht gerecht wird. Es schien mir fast so, als wären Steinfest auf den letzten Seiten seines Buches ein paar seiner Handlungsstränge entglitten, die er im Verlauf der Geschichte so aufwendig und geschickt eingefädelt hat. Manche Dinge bleiben unbeantwortet. Fragen gesellen sich dazu, die mich bedauerlicherweise etwas verstimmt und unglücklich zurücklassen. Ein Werk, dass es dennoch zu Recht auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2014 geschafft hat. Chapeau, lieber Herr Steinfest.

“Manchmal ist das so. Manchmal wird nicht das eine durch das andere ersetzt. Sondern es kommt etwas dazu. Die Welt wird größer. Notgedrungen wird sie dann auch komplizierter.”
Zitat, Seite 189

“Es kümmert mich nicht, ob an einem bestimmten Tag in meiner Geschichte dasselbe Wetter war wie an den realen Orten. Der Roman hat sein eigenes Wetter.”
Zitat, Seite 397