Rezension

"Alles, was der Schiedsrichter nicht sieht, geht irgendwie in Ordnung.“

Kakerlaken - Jo Nesbø

Kakerlaken
von Jo Nesbø

Bewertet mit 4 Sternen

"Alles, was der Schiedsrichter nicht sieht, geht irgendwie in Ordnung.“ Zitat von S. 174

 In Thailand wurde der norwegische Botschafter tot aufgefunden, mit einem Messer im Rücken, in einem Bordell. Er war ein langjähriger Freund und Weggefährte des Ministerpräsidenten, also will man einen Skandal verhindern: Auftritt Harry Hole, der extra von der norwegischen Polizei geschickt wird. „Er kannte das Geheimnis, wie man mit hoher Luftfeuchtigkeit umging. Sie musste einem einfach scheißegal sein.“ S. 47 Doch an diesem Fall kommt Harry einiges nicht geheuer vor: warum waren keine Kondome vorhanden? Warum hatte der Botschafter weniger Bargeld dabei, als üblicherweise an diesem Ort nötig? Dazu wird ein Koffer mit kinderpornographischen Fotos gefunden…

In diesem zweiten Fall der Reihe ermittelt Harry gemeinsam mit seinen thailändischen Kollegen, voran Thai-Amerikanerin Liz Crumley und ihr Team. Im Nacken haben beide diverse Politiker und Botschaftsangehörige, die feuchtschwüle Hitze und den unübersichtlichen Verkehr der Hauptstadt Bangkok. Bald wird ihm klar, dass nicht nur der Täter wenig Interesse daran haben kann, dass die Wahrheit ans Licht gerät; auch in Norwegen hat man ihm nicht alle Details mitgeteilt. Während er langsam lernt, lokale Sitten bei seinen Ermittlungen respektieren zu müssen, tritt er bereits einigen Figuren der Unterwelt kräftig auf die Zehen – was nicht nur gesund für ihn ist. Doch dann kommt es zu einer dramatischen Entwicklung, und während sich fast alle mit den präsentierten einfachen Lösungen zufrieden stellen lassen, gibt Harry den Ermittlungen noch eine entscheidende Wende…

Ich habe diesen zweiten Harry Hole in gut einem Tag gelesen und mag den sehr speziellen Humor von ihm und Autor Nesbø. Wiederum gibt es nach dem eigentlichen Ermittlungsende noch eine ganz neue Entwicklung, dieses Mal allerdings in deutlich geringerem Seitenumfange als bei Band 11 (mit dem war ich auf die Reihe gestoßen) und bei Band 1. Dafür stieg in diesem Band 2 dann natürlich die Komplexität der neuen Erkenntnisse, was nach meiner Meinung nicht notwendig durchgängig gut nachvollziehbar war (das „Ballett“ der Tatdurchführung wirkte wie in einigen Columbofilmen, inklusiver bestimmter technischer Geräte, Bekleidungen, etc.). Dafür erspart das Buch dem Leser weitere Details, die über die gefundenen Fotos hinausgehen. Ebenso gibt es zwar körperliche Auseinandersetzungen, aber keine größeren Gewaltorgien.

 Genial, wie Harry seine Prinzipien erklärt – auch wenn alles andere dabei vor die Hunde geht. Die Figur ist wirklich konsistent gezeichnet und nachvollziehbar, auch wenn sich dieses Mal der Autor spart, die Erkenntnis zum Alkoholproblem langsam dämmern zu lassen: gleich zu Beginn wird Harry sternhagelvoll in einer Bar aufgesucht. Er trinkt gerade „kontrolliert“, also nur das ungeliebte Bier statt Jim Beam und nicht bei der Arbeit. Das nimmt dem Ganzen vielleicht die Überraschung, dennoch schafft das Buch den Drahtseilakt, sowohl die Verführung als auch die Konsequenzen des Konsums darzustellen. Und wieder kann man als Leser anhand der Ermittlungen mitkombinieren!

 Während ich Buch 11 wirklich ohne jegliche Vorkenntnisse mit Genuss lesen konnte (Band 1 logischerweise sowieso), referenzierte Band 2 deutlich auf den Erstling, besonders auf die Ereignisse in Sydney sowie die beiden verstorbenen Lieben Holes, Birgitta und Kristin, ohne Band 1 dürfte das jedoch nicht nachvollziehbar sein; eine kleine Schwäche, die ich gerne verzeihe (die Alternative wäre gewesen, die Handlung des Vorbandes zu verraten, da erlebe ich lieber ein paar auftauchende vage Geister der Vergangenheit und schreite fort zu Band 3). Insgesamt damit jedoch knapp einen Stern schwächer als der Vorband und gute 4 Sterne von 5.