Rezension

Als Autobiographie wie als Buch über Musik sehr lesenswert

Der Klang der Wut - James Rhodes

Der Klang der Wut
von James Rhodes

Bewertet mit 5 Sternen

James Rhodes’ Buch »Der Klang der Wut« – im Original: »Instrumental. A Memoir of Madness, Medication and Music« – ist zugleich Autobiographie und ein Buch über Musik. Ich habe während der Lektüre öfter seine CD »Inside tracks« gehört, eine Zusammenstellung von Aufnahmen aus seinen bisherigen CDs, von Stücken, die ihm morgens um 4 bei Schlaflosigkeit durch den Kopf gehen, die ihm Hoffnung geben und ihm sagen, solange es solche Musik gebe, überwiege das Gute gegenüber dem Bösen. Rhodes spielt hier u. a. Bach, Beethoven, Chopin, Rachmaninow. Jedenfalls: Lektüre und Musik passten gut zusammen, vielleicht auch, weil so der Aspekt »Buch über Musik« unterstrichen wurde.

James Rhodes wurde als Kind von einem Lehrer missbraucht, und er berichtet, welche psychischen Folgen und Folgen im Leben dies für ihn hatte. Er schildert seine psychischen Störungen, Psychiatrieaufenthalte, seine Art, Menschen zu manipulieren, das Scheitern seiner ersten Ehe, die Liebe zu seinem Sohn, seine Probleme in Beziehungen, seinen Weg zum Konzertpianisten; in manchen Passagen, etwa wenn er über das Ritzen und dessen Wirkung schreibt, habe ich überlegt, ob dies jemanden mit ähnlicher Problematik nicht vielleicht gefährlich »runterziehen« könnte. Vielleicht ist die Lektüre für Menschen mit ähnlicher Problematik wie Rhodes nicht zu empfehlen – ich weiß es nicht.

Rhodes schont sich selbst nicht: Er stellt klar das Verbrechen des Vergewaltigers heraus und was dieser angerichtet hat – aber er übernimmt die Verantwortung für das, was er selbst, Rhodes, in seinem späteren Leben tut oder unterlässt. So zeigt das Buch auch, dass es letztlich darauf ankommt, was man aus seinem Leben macht – egal, was vorher war. Einige Menschen und die Musik haben Rhodes geholfen zu überleben – wobei vermutlich nicht endgültig entschieden ist, ob Rhodes wird leben können.

»Der Klang der Wut« ist auch ein Buch über Musik: Zu Beginn jedes Kapitels beschreibt der Autor ein Werk der Musik und dessen Komponisten oder den Künstler, der die Musik spielt. Bach und Glen Gould sind darunter, Beethoven, Brahms, Schubert, Chopin, Bruckner, Ravel, Rachmaninow u. a. In kurzen Porträts skizziert Rhodes die musikalische Leistung und die Brüche im Leben der Musiker; die Stücke kann man übrigens im Internet in den von Rhodes vorgestellten Interpretationen hören: unter http://bit.do/instrumental.

Rhodes hat u. a. eine CD mit dem Titel »Razor Blades, Little Pills, Big Pianos« aufgenommen (mit Stücken von Bach, Beethoven, Chopin, Moszkowski), eine andere mit dem Titel »Now would all Freudians please stand aside« (Bach, Beethoven, Chopin; mit eine Bonus-CD, auf der er über die Musik auch spricht). »James Rhodes live in Brighton« gibt einen Eindruck von seinem Musikverständnis, das er in »Der Klang der Wut« darlegt: Es ist eine Art demokratisches Musikverständnis – die Werke der Klassik (Klassik in einem weiten Begriff, nicht nur auf die entsprechende Epoche bezogen) sind einfach Musik, Musik für die Menschen, und an die will er sie heranbringen: So spielt er in seinen Live-Konzerten nicht nur, sondern spricht auch kurz über die jeweiligen Stücke. Und so wettert er gegen die Musikindustrie und ihre Art der Vermittlung: »Gebt die Musik denen zurück, denen sie gehört. Lasst nicht zu, dass eine Handvoll inzuchtverblödeter Altersheimer diktieren, wie diese unsterbliche, unglaublich wundervolle Musik präsentiert werden sollte.« (S. 270) Das Buch ist auch ein Aufruf an die Menschen zur Kreativität – mit den Mitteln, die sie haben.

Als Konzertpianist ist Rhodes aufgrund seines persönlichen Werdegangs ein Spätberufener – er meint, technisch seien viele Studenten besser als er. Ich kann dies nicht beurteilen, aber es ging mir so, dass ich über ein Stück bei einem anderen Pianisten hinweghörte und mir bei Rhodes so etwas wie Glück vermittelt wurde. So schlecht wird er vermutlich nicht sein.

Als Autobiographie wie als Buch über Musik ist »Der Klang der Wut« höchst lesenswert.

Kommentare

Naibenak kommentierte am 29. März 2017 um 09:23

Wow, das ist wahnsinnig interessant! Wenn auch "schwer" von der Thematik (der biografische Aspekt), so wird offenbar deutlich, wie wichtig Musik im Leben ist. Das Zitat von S.270 ist genial ;-) Und "technisch gut spielen" heißt noch lange nicht, dass man auch die Musik "lebt". Da trennt sich dann nämlich wirklich die Spreu vom Weizen und als Zuhörerin kann ich über kleine technische Unstimmigkeiten gern hinweghören ;) Immer noch besser als ein technisch brillantes, aber farbloses Spiel! Wenn man dann auch noch Glück verspürt - wie du - ist es fantastisch! Warum nur habe ich diesem Musiker bislang noch keine Beachtung geschenkt? *kopfkratz* ;-) Muss ich ändern! Danke, Stevie!

Naibenak kommentierte am 29. März 2017 um 10:23

Nachtrag: er ist in der Elbphilharmonie im September!!! Aber wie es scheint, (natürlich) komplett ausverkauft - *seufz*... Mal sehen, ich bleib dran ;)

Steve Kaminski kommentierte am 29. März 2017 um 11:36

Er scheint nur in Hamburg zu sein (in Deutschland). Schade - Köln, Dortmund... wären in Reichweite (vermutlich dann auch ausverkauft).

Steve Kaminski kommentierte am 29. März 2017 um 11:50

Rhodes hat sehr spät begonnen Klavier zu spielen; vielleicht macht er auch kleine Fehler, die meinereins nicht hört - egal. - Besagtes Stück war Bach/Busoni, Toccata, Adagio und Fuge in C-Dur, BWV 564. Manches kam mir bekannt vor - und da merkte ich erst, dass ich es auf der CD eines anderen Pianisten auch hatte, da war es mir aber gar nicht recht aufgefallen.

Sprachlich ist er manchmal ein bisschen grob, wobei man über sexuellen Missbrauch wohl schlecht hyperelaboriert sprechen kann, zumindest als Betroffener nicht. - Nett finde ich es wieder, wenn er Hattie, seiner großen Liebe, zuruft: "Kacke, Mann, wie ich dich liebe!" :-)

PS: Und superspitzenmäßig, eines meiner Lieblingsstücke überhaupt, ist Bachs Chaconne, die Rhodes auch spielt.

wandagreen kommentierte am 29. März 2017 um 11:19

Ich halte mir die Augen zu und lese nichts, da ich das Buch auch unbedingt lesen möchte. Vllt endlich mal eins, das uns beide begeistert?

Steve Kaminski kommentierte am 29. März 2017 um 11:35

... wobei ich glaube, dass ich nicht zu viel vorwegnehme - wie auch immer.  Aber es gibt Schnittmengen - denk an Widerfahrnis, an Charlotte Salomon!

wandagreen kommentierte am 04. Januar 2019 um 22:12

Oh doch, eigentlich hast du alles vorwegenommen. Aber ich habs ja nicht gelesen und werde bei deinen Rezis in Zukunft einfach weiterhin vorsichtig sein. Hm, ich habs jetzt gelesen und fand es gut - aber mag weder den Autor noch seine Art, sich dazustellen. Das gab massiv Punktabzug.

 

kommentierte am 30. März 2017 um 11:03

Ich glaube, das Buch steht schon auf meiner WuLi - tolle Rezension!

Steve Kaminski kommentierte am 30. März 2017 um 12:15

Danke, King, für Deine Statements - hier und bei Taduno!