Rezension

Als Lehrbuch durchaus in Ordnung, aber keine Freizeitlektüre

Asphalt Tribe - Morton Rhue

Asphalt Tribe
von Morton Rhue

Bewertet mit 3 Sternen

Vorteile: Preis; Nachteile: zu viele Personen mit seltsamen Namen, zu kurz, es kommt kein Mitgefühl auf

Ich bin großer Fan von "Die Welle", was ich in der Schule lesen durfte und immer noch gerne lese. Und da mir auch "Boot Camp" sehr gut gefallen hat, hatte ich mir nun auch "Asphalt Tribe" günstig bei Tauschticket zugelegt und ebenfalls in wenigen Stunden durchgelesen.
 
MORTON RHUE
Morton Rhue wurde am 5. Mai 1950 in New York City unter dem Namen Todd Strasser geboren. Rhue greift in seinen Büchern kontroverse Themen wie den Nationalsozialismus, Gewalt an Schulen oder Obdachlosigkeit auf und bearbeitet sie für Jugendliche. "Die Welle" ist in Deutschland wohl der bekannteste Roman, da er in vielen Schulen gelesen wird und 2008 mit Jürgen Vogel ins Kino kam. Eine ausführliche Biografie findet man bei Wikipedia.

DAS BUCH
Maße: ca. 18 x 12,2 x 1,8 cm
Schriftgröße: knapp 3 mm
Kapitel: 30 + Grußwort + Nachwort
Neupreis : ca. 4-5 Euro (broschiert) bzw. um 12 Euro (gebundene Ausgabe) (z.B. bei amazon)
Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz
Verlag: Ravensburger
 
Klappentext: "Ich hielt den kleinen Hund in den Armen, sodass nur sein Kopf rausguckte. Er fühlte sich warm an, und da sein Kopf so dicht vor meinem war, hatte ich seinen Hundegeruch in der Nase. Das Knurren in meinem Magen erinnerte mich daran, dass ich nichts gegessen hatte, aber es war zu kalt, um aufzustehen und zu St Mark's zu gehen und sich was zu essen zu holen, oder um Geld zu betteln."
 
Das Taschenbuch ist weiß und auf dem Cover sieht man ein Mädel in schwarz/weiß. Enttäuschend ist, dass das abgebildete Mädchen offensichtlich nicht die Hauptfigur darstellen soll, denn diese hat eine Hautkrankheit, weswegen sie hell und dunkel gefleckt ist. Zudem ist das Cover-Girl doch recht sauber und gepflegt (gezupfte Augenbrauen). Es gibt noch ein anderes Cover, das bunter ist und den Untertitel "Kinder der Strasse" auf dem Cover trägt. Darauf sieht man die Beine eines Mädels in einer roten, zerrissenen Strumpfhose und schwarzen Stiefeln. Ich finde beide Cover äußerst misslungen. Rein vom Cover her hätte ich sie mir nie gekauft.
 
"Asphalt Tribe" gehört zur Ravensburger-Reihe "das bin ich", wovon weitere Titel im Anhang beworben werden. Ausser um Strassenkinder geht es da noch um Schwangerschaft, Model werden oder Magersucht. Natürlich alles aus der Sicht von Heranwachsenden. Von Schneider-Buch gab es vor Jahren für Jugendliche eine Reihe namens "offen & ehrlich", was wohl so ähnlich gwewesen ist.
 
Bevor es losgeht, gibt es ein 2seitiges Grußwort von Doris Schröder-Kopf, der Frau von Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Danach stimmen ein paar Zeilen schon mal auf eine düstere Stimmung ein: "Hier ist, wo du bist. Da ist, wo du hinwillst. Aber du kommst nicht von hier nach da. (Harrsion Blanchard alias OG)" OG ist eine Figur im Buch. Nach dem Roman folgt ein 8seitiges Nachwort von Markus Seidel, Vorsitzender der in Deutschland tätigen Straßenkinder-Hilfsorganisation Off-Road-Kids. Gruß- und Nachwort sind zur Abgrenzung auf dunkelgrauem Papier gedruckt.
Die Kapitelnummern werden ausgeschrieben und sind kräftig schwarz. Nur das erste Kapitel trägt einen Zusatz, nämlich Silvester. Damit ist schon mal klar: Es ist Winter, es ist kalt und selbst an Feiertagen sind die Straßenkinder auf sich gestellt. Die Seitenzahlen befinden sich jeweils unten links bzw. rechts in Höhe der drittletzten Zeile.
 
"Asphalt Tribe" ist nicht nur einfach der Titel dieses Buches, es ist auch die Bezeichnung, die sich die Kinder für sich ausgedacht haben: "Ein Stamm, der auf der Suche nach Nahrung und Obdach durch die Straßen streifte." (S. 55)
 
Die Geschichte wird aus der Sicht der 15jährigen Maybe erzählt. Maybe ist natürlich nur ihr "Straßenname" und im englischen Original wird damit manche Antwort zu einem Wortspiel, das im Deutschen leider nicht funktionieren kann. Maybe bedeutet so viel wie "Kann sein" oder "Vielleicht"... Über die Hintergründe, warum Maybe oder die anderen auf der Straße gelandet sind, erfährt man nur recht wenig. Die meisten wurden misshandelt, so wie Maybe, die eine Bügeleisen-Narbe auf dem Rücken trägt. Die Kinder im Alter von 12 bis 22 sehen keinen Ausweg aus ihrem schlechten Zuhause und frieren lieber auf der Straße. Manchen Eltern ist es egal, was mit ihren Kinder passiert, andere wiederum suchen sie und nehmen sie wieder mit nach Hause. Man begleitet Maybe durch die kalte Jahreszeit, in der einige sterben, es um Sex und Drogen geht und irgendwie alles hoffnungslos erscheint. Jedoch wird es alles sehr nüchtern und zum Teil nebensächlich erzählt. Zum Beispiel wird der Sex- und Drogen-Handel nicht ganz deutlich oder Sterben wird nur kalt erzählt - so kommt keine Wärme zu der Geschichte, kein Mitgefühl flammt auf. Auch die Namen der Hauptcharaktere wirken für deutsche Leser doch sehr verwirrend: Maybe, Rainbow, OG, Country Club, Maggot, 2Moro, Tears oder Jewel sind befremdliche Name, zu denen man kaum Bezug herstellen kann. Das Ganze spielt in New York, was für Deutsche nochmal eine gewisse Distanz aufwirft. Man fühlt nicht mit, wenn die Protagonisten von Menschen nicht beachtet werden oder keine Spenden bekommen. Umso mehr überrascht ist man, wenn es dann doch Menschen gibt, die ihnen etwas zu essen geben oder sonstigen Schutz und Hilfe bieten ohne eine Gegenleistung zu wollen.
Manche Kapitel beginnen mit einer Art Todesanzeige, wo der Geburtsname und ihr Aufwachsen erwähnt werden. Da zu diesem Zeitpunkt diese betroffene Person noch nicht tot ist, sondern erst in diesem Kapitel stirbt, greift dies leider schon vorweg und man weiß dann schon, wie das Kapitel verlaufen wird. 
So grausam dieses Buch auch ist, grausamer ist da die Vorstellung, dass Straßenkinder tatsächlich existieren - auch hier in Deutschland. Eigentlich begegnet man den Jugendlichen auch öfters auf der Straße und mal ganz ehrlich, wer gibt ihnen schon immer Geld oder etwas zu essen? Auch durch dieses Buch wird sich das nicht ändern, denn wie bereits gesagt, kommt kaum Mitgefühl auf und man möchte einfach nur schreien: Ändere dein Leben, verdammt noch mal - es gibt etwas Besseres als die Straße!
Ich würde dieses Buch für Schulen empfehlen, vielleicht so ab der 7./8. Klasse.
 
DIE SPRACHE
Die Sprache ist sehr einfach, da es ja ein Jugendbuch ist. Jugendliche sollten fast alles ohne Probleme verstehen können, auch wenn Wörter wie Plug und Barells auftauchen, die mich etwas irritierten, aber ich bin ja auch nicht mehr so jung... Aber durch die einfache Schreibweise und die Seitennutzung (1cm links, 2cm rechts und je 1,7cm unten und oben) hat man das Buch innerhalb weniger Stunden durch. Ich habe etwa 3 Stunden dafür gebraucht.
Das Buch ist wie die anderen Morton Rhue-Bücher aus der Ich-Person geschrieben, so dass man intensiver dabei ist. Nach "Boot Camp" hätte ich erwartet, dass es in der Gegenwart geschrieben ist, jedoch wurde hier, wie bei "Ghetto Kidz", die Vergangenheitsform genutzt. Vielleicht nutzt Rhue dies, um den Unterschied zu zeigen, dass jeder zwar sowohl in ein Camp als auch auf die Strasse kommen kann, man aber immer die Chance zur Flucht von der Strasse hat, in einem Camp jedoch nicht. Leser seiner Bücher werden aber kaum von der "richtigen" Straße kommen, deswegen kann man sich da auch nicht so sehr reinversetzen wie bei "Boot Camp", deswegen wohl die leichte Abgrenzung. Das Buch ist denke ich ab 12 Jahren empfohlen. Jedoch bezweifle ich, dass das Thema für dieses Alter interessant ist. Meine Empfehlung ist da eher ab 15/16 Jahre.
 
Fazit: Nach "Die Welle" und "Boot Camp" war ich voll heiß auf die anderen Bücher von Morton Rhue, aber leider wurde ich hier wie schon bei "Ghetto Kidz" enttäuscht. Die Geschichte wird diesmal nicht so packend erzählt und durch die Menge an Personen und deren seltsamen Namen verliert man leicht den Überblick. Zudem nervt diese kindliche Naivität und Nüchternheit. Für den Schulunterricht würde ich es dennoch empfehlen (deswegen 3 Sterne), als normalen Lesestoff empfehle ich "Die Welle" oder "Boot Camp"!