Rezension

Am Abgrund des Lebens gestrandet

Herz auf Eis
von Isabelle Autissier

Bewertet mit 5 Sternen

Wer träumt nicht davon aus dem Alltag auszusteigen und die Welt kennenzulernen. Louise und Ludovic machen den Traum wahr und umsegeln während eines Sabbatjahres die Welt. Eine einsame Insel südlich von Kaphorn im kalten Atlantik reizt die beiden Bergsteiger, denn hier wartet ein Gletscher auf sie. Während der Klettertour zieht ein heftiger Sturm auf, der die Rückkehr zur Jacht unmöglich macht. Dann der Schock am nächsten Morgen: Das Schiff hat sich losgerissen und ist verschwunden. Fern aller Zivilisation kämpfen die Steuerbeamtin und der Kommunikationswissenschaftler ums nackte Überleben.

Isabelle Autissier hat einen so eindringlichen und plastischen Schreibstil, dass man sich von der Handlung mitreißen lässt. Die Autorin spiegelt die tiefsten menschlichen Ängste in einer extrem spannungsgeladenen Geschichte wider. Dazu kommen die Naturschilderungen, die bildhaft die Schönheit und gleichzeitige Unerbittlichkeit der Landschaft zeigen. Man spürt förmlich selbst die raue Gletscherkruste und die Kraft des eisigen Windes. Zwei Großstadtmenschen mit einer Handvoll Habseligkeiten allein auf einer einsamen Insel. Um zu verstehen, was mit den beiden passiert, gibt es einen Rückblick auf die Zeit ihres Kennenlernens. Dabei spielen ihre unterschiedlichen Charaktere eine große Rolle. Hier geht es um viel mehr, als um den existenziellen Kampf gegen Kälte und Hunger.

"Wenn es um das Leben, um den Tod, um Entscheidungen von größter Wichtigkeit geht, zählt der andere nicht mehr. ..... Das ist unbedingtes Recht, ihre Pflicht sich selbst gegenüber."

Die Wahrung der eigenen Würde, das Begreifen des Menschseins wird zu einer immer größeren Bürde. Zwei sich vertrauende, liebende Menschen stehen am Abgrund ihres Lebens und diese Zerrissenheit  ist unglaublich intensiv beschrieben. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie schnell man aus der vermeintlich sicheren Komfortzone herausgerissen werden kann und was von einem übrig bleibt, wenn nichts weiter als das Überleben bleibt.

Diese Geschichte rüttelt auf, führt an Grenzen, die man selbst nie erleben möchte und ist ein Spiegel, der den Leser auffordert, sich selbst zu erforschen.
Ein eindringlicher und empathischer Roman, der ein ganzes Spektrum an Emotionen hervorruft und mich begeistert hat.