Rezension

Am Jahresende noch ein Lesehighlight

Was man von hier aus sehen kann - Mariana Leky

Was man von hier aus sehen kann
von Mariana Leky

Bewertet mit 5 Sternen

„Was man von hier aus sieht“ ist gar nicht weit, aber unendlich tief. Das könnte man über fast alle Bewohnerinnen und Bewohner des kleinen Westerwalddorfes sagen. Da ist Selma, der, kurz bevor jemand stirbt, im Traum ein Okapi erscheint. Luise, ihre Enkelin, deren Vater allen rät, „mehr Welt in ihr Leben zu lassen“ und den es selbst in die weite Welt zieht. Luise, deren Welt zusammenbricht, als ihr Freund Martin daraus verschwindet. Der Optiker, der sich die Welt mit Selma zusammen wünscht. Palm, der seine Welt im Alkohol sucht, Elsbeth die ihre im Aberglauben.

 

Das Buch besticht mit einer präzisen Verwendung der Worte. Worte, die wir alle tagtäglich gebrauchen und deren Bedeutung wir oftmals gar nicht sp genau auf den Grund gehen. Leky verbindet alltägliche Worte zu neuen Metaphern, die in ihrer Schlichtheit doch unendlich viel aussagen. So schreibt sie über Marlies, die im Dorf nur die traurige Marlies genannt wird, obschon es viel mehr Unzufriedenheit und tiefes Unglücklichsein als Traurigkeit ist, „ Nur der Geruch im Haus gehörte Marlies. Es roch nach Zigaretten, [ ….] , nach vor Jahrzehnten abgelaufener Heiterkeit.“

 

Dann trifft Luise im Wald Frederik, einen buddhistischen Mönch, gebürtig aus Hessen; lebend in Japan , der mit einer Gruppe im Nachbardorf an einer Gehmeditation teilnimmt. Sie verstehen sich wortlos und wortreich, doch Frederik reist zurück nach Japan. Doch ein Briefkontakt reicht Luise nicht und so bittet sie Frederik, doch wieder zu ihr kommen. Und Frederik kommt und Luise ist „hinfällig vor Liebe“. Doch er reist erneut ab und entscheidet sich für das Leben in Japan. Ein neuerlicher Liebesversuch mit Andreas scheitert letztlich.

So vergehen die Jahre. Festgemacht an den Bildbänden über fremde Länder, die Selma von ihrem Sohn alljährlich zum Geburtstag bekommt; denn ansonsten geschieht im Dorf wenig. Bis Selma erneut ein Okapi sieht. Diese daraus folgende Sterbeszene ist unendlich poetisch schön in Worte gefasst.

 

Das Buch hat einen ganz eigenen Witz. Unterhaltsam zu lesen, doch immer wieder auch Stellen, bei denen es sich lohnt, innezuhalten und darüber nachzudenken. „ Die Welt ins Leben lassen“ kann so viel bedeuten und für jeden etwas anderes. Luise's Vater, der in der Welt herumreist; der Optiker, der seinen Kopf so gerne in sein Optikergerät steckt und darin den Punkt sucht, in dessen Verlängerung es in unendliche Weiten geht und Marlies, die sich ein Leben lang in ihrem Haus verschanzt hat und dann doch irgendwann ein Fenster öffnet.

Ein Buch, das man unbedingt in sein Leseherz lassen sollte.