Rezension

Amor fati

Die Unvollendete - Kate Atkinson

Die Unvollendete
von Kate Atkinson

Bewertet mit 4 Sternen

Die Protagonistin Ursula Todd lebt ihr Leben zwischen ihrer Geburt im Jahr 1910 und ihrer Pensionierung im Jahr 1967 wieder und wieder. Dem Leser werden wichtige Abschnitte in ihrem Leben präsentiert, die durch geringfügig veränderte Weichenstellung unter Beibehaltung wesentlicher Eckpunkte in der sich wiederholenden Darstellung zu einem gänzlich anderen Lebenslauf Ursulas führen. Gemeinsam ist allen Leben, dass Ursula immer bestrebt ist, alles richtig zu machen. Schicksalsschläge und Tragödien in ihrem Umfeld bleiben dennoch nicht aus.

 

Thematisiert wird durchgängig die Frage "Was wäre, wenn …", die sich vielleicht schon jeder einmal gestellt hat. Um diesen abstrakt klingenden Buchinhalt  plastisch zu veranschaulichen, möchte ich einige Textbeispiele nennen: Mehrfach wird derselbe Augusttag nach Ursulas 16. Geburtstag unterschiedlich geschildert - was wäre gewesen, wenn sie hier von dem Freund ihres Bruders vergewaltigt und geschwängert worden wäre oder wenn sie es geschafft hätte, den Freund in seine Schranken zu weisen? Wie verhält es sich mit der Friedensfeier in London im November 1918 - was wäre gewesen, wenn das Hausmädchen der Todds sie besucht, sich dort die spanische Grippe geholt und zu Hause eingeschleppt hätte oder wenn Ursula vorher das Hausmädchen die Treppe hinuntergestoßen hätte, so dass dieses nicht ausgehen konnte? Was ist mit Ursulas Deutschlandbesuch in den 30er Jahren - was wäre gewesen, wenn sie in München die Bekanntschaft der berüchtigten Eva Braun gemacht hätte?

 

Fazit der Lektüre ist m.E. das im Buch oft zitierte Wort Nietzsches "Amor fati", d.h. man soll das Leben so annehmen, wie es kommt, das Gute und das Schlechte gleichermaßen.

 

Das zum Nachdenken anregende Buch ist also auf jeden Fall für den philosophisch bewanderten Leser interessant. Aber auch historisch und literarisch Interessierte werden an ihm ihre Freude habe. Erstere, weil beide Weltkriege, insbesondere die Bombardierungen Londons und Berlins, aus der Sicht der Zivilbevölkerung gut aufgearbeitet werden und sogar die Frage angeschnitten wird, was gewesen wäre, wenn Ursula Hitler erschossen hätte. Letztere, weil durchgehend aus den Werken bedeutsamer Schriftsteller der Weltliteratur zitiert wird, z.B. "Was, wenn das jetzt der Welt letzte Nacht wäre" von Donne. Seine Freude an dem Buch findet aber auch jemand, der einfach nur eine Familiensaga lesen möchte. Denn im Mittelpunkt steht die der britischen Oberschicht angehörende Familie Todd mit ihren fünf Kindern und  Ursula als dem mittleren. Jedes Mitglied hat seine Marotten, was sprachlich sehr lebendig durch zahlreiche Klammerzusätze zum Ausdruck gebracht wird, die die unterschiedlichen persönlichen Ansichten der Clanmitglieder wiedergeben.

 

Wie der Website der Autorin zu entnehmen ist, ist dieses Buch für den "Women's Prize for Fiction" 2013 vorgeschlagen. Diesen Preis würde es verdienen. Ich spreche eine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.

Kommentare

adamusa kommentierte am 12. Juli 2023 um 06:59

Das ist das beste Buch, das ich je von diesem Autor gelesen habe. Das Buch hat mir geholfen, mehr Wissen und nützliche Informationen zu erlangen. retro bowl