Rezension

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Amrum und die 'Angeschwemmten'.....

Die Namenlosen von Amrum
von Jürgen Rath

Bewertet mit 4 Sternen

"Die Namenlosen von Amrum" (ein Insel-Krimi) von Jürgen Rath erschien als TB im Sutton-Verlag, Erfurt 2015 und ist der 2. Fall für Steffen Stephan, seines Zeichens Archivar und hier im speziellen Friedhofsforscher, der 1964 auf Amrum nach Antworten auf die "Gräber der Namenlosen" sucht, da ihm sein Chef die Aufgabe gibt, mit einer neuen Idee aufzuwarten und er um seinen Arbeitsplatz bangen muss... Zur Seite gestellt wird ihm Lilianne, eine Studentin der Literaturwissenschaft, die lernen möchte, wie man recherchiert, um später Journalistin zu werden.  
  
Beide stoßen auf eher feindseliges Verhalten der Inselbewohner, die es gar nicht schätzen, wenn Leute vom Festland allzu neugierige Fragen stellen. Das letzte Begräbnis war 1959, als eine unbekannte Frau tot auf Amrum angespült wurde.... 
Kennt man die Insel, ist die atmosphärische Beschreibung der Orte (Wittdün, Nebel, Norddorf, Steenodde) umso schöner; eine Prise Humor ist auch hier und da zu finden, während die Aussagen, wie die Geschlechter aufeinander reagieren, für heutige Verhältnisse recht antiquiert erscheinen, jedoch chronologisch in die 60er Jahre passen...  
   
Mit den eingeschobenen Rückblicken auf ein Schiff und dessen Mannschaft, das 1954 auslief, kommt auch die Spannung in Fahrt: Man hat das Gefühl, dass Jürgen Rath weiß, wovon er schreibt - und Kapitän ja eine seiner Professionen ist: Der Stil ist eher gemächlich, ruhig - und in gut lesbarer klarer Sprache gehalten; der Insel-Krimi ist in 5 Teile aufgesplittet; die von Amrum, Hamburg, Büsum, wieder Amrum bis nach Sylt reichen - sich also allesamt an der deutschen Nordsee befinden. Da ich alle Orte persönlich kenne, erhöht das die Lesefreude dieses Amrum-Krimis um ein Vielfaches... 
Steffen und Lilianne ermitteln sich von Hamburg aus durch Ämter und Kirchen, Archive und Bibliotheken, als Steffen von Margarete (die auf Amrum lebt und in die er sich allem Anschein nach etwas verliebte...) erfährt, dass es keine gute Idee wäre, nochmals nach Amrum zu kommen, da "einige Leute" gar nicht gut auf ihn zu sprechen sind...  
   
Interessante Details finden sich in der Arbeit der Archivare - oder auch der technischen Entwicklung der Kopierer, die in den 60er Jahren erstmals in deutschen Archiven, aus den USA stammend,  verwendet wurden. 
In der Zeit des "Eisernen Vorhangs" spart Jürgen Rath auch nicht mit politischen Äußerungen, dass die BRD für die DDR die 'faschistische Republik' war und (für Steffen) die DDR 'eine Diktatur, die ihr Volk einsperrt'; eine nicht unwahre Betrachtungsweise, wie ich finde, die ja noch bis 1989 andauern sollte. Diese Fakten machen den Krimi, der eher ruhig daherkommt, zeitgeschichtlich interessant; z.B. auch die Erwähnung des legendären STAR-CLUBS in Hamburg, in dem die Beatles in den 60ern ihre Karriere begannen...  
   
Steffen und Lilianne finden heraus, dass es eine "Unstimmigkeit" eines Grabes auf dem Friedhof der Angeschwemmten auf Amrum gibt und beschließen, nochmals hinzufahren, um den Dingen auf den Grund zu gehen: Der 2. Inselbesuch gestaltet sich noch gefährlicher, da Steffen und Lilianne zu einer 'persona non grata' wurden. Wem können sie noch vertrauen, wem besser nicht? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt....  
   
Zwei Epiloge schließen sich diesem historisch interessanten und gut recherchierten Krimi an sowie ein Anhang der tatsächlichen Gräber der Namenlosen von Amrum. Der Plot ist stimmig, die Spannung nimmt im letzten Teil zu: Die Professionen des Autors (Kapitän und Historiker) sind zusammen mit einem klaren Schreibstil im Inselkrimi gut 'ablesbar'. 

Fazit: 
Ein eher ruhiger, aber dennoch recht spannender, gut recherchierter Insel-Krimi mit einem recht sympathischen, aufgeweckten Archivar als Ermittler, der für mich seinen besonderen Reiz aus der Zeit ableitet, in der er angesiedelt ist: Die 1960er Jahre .... Einige Schmunzler, auch mal ein Kopfschütteln konnte mir auch das etwas angestaubte, antiquierte Geschlechterverhältnis dieser Zeit entlocken, das jedoch authentisch dargestellt und beschrieben ist.  Die Buchhinweise am Krimiende machen neugierig auf mehr von Jürgen Rath und den anderen Autoren dieser Krimi-Reihe! Eine Leseempfehlung für Krimifans, die eher ruhigere, gut durchdachte und recherchierte Kriminalromane bevorzugen und ein Faible für die "sweet 60ies" haben ;) Von mir bekommt der Insel-Krimi 4 * und 85° auf der Krimi-Couch.