Rezension

Aneinanderreihung von Banalitäten

Die Tuchvilla - Anne Jacobs

Die Tuchvilla
von Anne Jacobs

Die Welt ist im Umbruch. Es ist die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, der das politische Europa in seinen Grundfesten erschüttern wird. Aber auch das gesellschaftliche Gefüge verändert sich durch die fortschreitende Industrialisierung, die sich auch in Deutschland zunehmend durchsetzt. Diejenigen, die die Zeichen der Zeit erkennen und auf diesen rasenden Zug aufspringen, vergrößern ihr Vermögen immens und gewinnen dadurch auch an Macht und Einfluss. Für die Lohnarbeiter und Besitzlosen hingegen wird es immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Johann Melzer gehört zu denen, die es durch die Tuchfabrikation zu beträchtlichem Wohlstand gebracht haben. Er ist ein Selfmade-Man, ein Emporkömmling, nicht mit silbernen Löffeln im Mund geboren, aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit seiner Familie lebt er in Augsburg, dem damaligen Textilzentrum in Süddeutschland. In dessen Haushalt werden immer wieder Dienstboten benötigt, und so findet auch die junge Waise Marie dort eine Anstellung als Küchenmagd.

Zur Familie Melzer gehören neben Alicia, Johanns Gemahlin, die aus einem verarmten Adelsgeschlecht stammt, drei erwachsene Kinder, die sich nur zeitweise zuhause aufhalten: Kitty, das Nesthäkchen, die ohne Standesdünkel den Kontakt zu Marie sucht, Elisabeth, unglücklich in ihrer Liebschaft mit einem schneidigen Leutnant, und Paul, ein Bruder Leichtfuß, der der Küchenmagd den Kopf verdreht. Und dann gibt es noch das Rätsel um Maries Herkunft, die offenbar in irgendeiner Weise mit der Familie ihres Arbeitgebers verbunden ist…

Hier sieht man bereits, dass die Autorin jede Menge Klischees in ihrem Plot verbrät und die Möglichkeiten, die ihr das überaus spannende zeitliche Setting bietet, nur am Rande nutzt. Im Wesentlichen geht es um die banalen Probleme der Bewohner der Tuchvilla und die Geheimnisse, die der Patriarch fein säuberlich unter dem Deckel hält. Eine unglaubliche Menge Füllmaterial (nichtssagende Beschreibungen) bläht die eher magere und vorhersehbare Geschichte auf langatmige 700 Seiten auf, die die wirklich interessanten Aspekte dieser Zeit leider nur am Rande streift.

„Die Tuchvilla“ ist ein typischer Frauenroman, leichte Unterhaltungslektüre. Falls die Leserinnen eine in weiten Teilen vorhersehbare Familiengeschichte mit dazugehörigen Geheimnissen erwarten, werden sie hier gut bedient. Mir war das dann doch zu banal.