Rezension

Angejahrt, aber fröhlich

Golubaja kniga. Das Himmelblaubuch, russische Ausgabe - Michail Sostschenko

Golubaja kniga. Das Himmelblaubuch, russische Ausgabe
von Michail Sostschenko

Bewertet mit 2.5 Sternen

Michail Michailowitsch Soschtschenko (1894-1958) war überzeugter Kommunist, Rotarmist und überaus erfolgreicher Schriftsteller. Er übte sich vor allem in der kleinen Form und schrieb Satiren und Erzählungen, die durch humorvolle Naivität und entlarvende Selbstbezichtigungen bestechen. Mit dem Himmelblaubuch - das in Abgrenzung zu den Weiß-, Braun- und Schwarzbüchern der Zeit seinen Titel erhielt - versuchte Sostschenko, die kleine Form in eine größere zu überführen und ein größeres Werk zu erschaffen, das nichts weniger sein sollte als eine kurzweilige, leicht zu lesende Kulturgeschichte Europas, vor allem Russlands. Dass es hierbei vor allem um die Abgrenzung des „neuen Sowjetmenschen“, der die Fesseln der feudalistischen Vergangenheit abgeworfen hat, vom rückständigen Bourgeois geht, also um die Verbesserungen in der Welt des postrevolutionären Russlands, wird auf jeder Seite deutlich.

Sostschenko gliedert seinen Blick aufs Allzumenschliche in die fünf Kapitel Geld, Liebe, Arglist, Miseren und Erstaunliche Begebenheiten. In diesen versammelt er thematisch mehr oder weniger passende Anekdoten und kleine Erzählungen, denen er 40 bis 50 Argumente, wissenswerte Details und humorvolle Anmerkungen voranstellt, oft mit Beispielen aus der Geschichte. Dadurch erreicht er eine gewisse Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit aller Beispiele, die es erlaubt, Alexander den Großen und Diogenes neben Zar Nikolaus oder dem Konterrevolutionär Popov auftreten zu lassen. Die Aufzählungen können allerdings auch den Charakter der Beliebigkeit nicht ganz abschütteln.

Auffällig ist der materialistische Grundton, der alle Erzählungen durchzieht: Mit Geld fängt es an, doch selbst die der Liebe gewidmeten Anekdoten drehen sich darum, Geld zu haben, Geld nicht zu haben oder Geld unbedingt haben zu wollen. Scheint hier der aus dem kapitalistischen Gestern kommende, im Zarenreich geborene Mensch noch durch? Oder Sostschenkos eigene materielle Not, denn auf Rosen war er nicht gebettet?

Weniger dieser kompositorischer Lapsus als vielmehr der saloppe, bisweilen allzu lapidare Erzählduktus, die häufigen als Stilmittel gedachten, satzweisen Wiederholungen und vor allem die politische Grundaussage lassen das Himmelblaubuch alt aussehen: Es nimmt nicht wunder, dass die deutsche Übersetzung aus der realexistierenden Deutschen Demokratischen Republik von 1973 stammt, wo ebenfalls der Grundtenor der Selbstvergewisserung vorherrschte, "dass man alles besser mache, auch wenn noch nicht alles besser sei, aber es werde schon noch werden." Was 1935, als Sostschenko sein Buch veröffentlichte, politisch korrekt war, kann man sich vorstellen, wenn man den Beginn des stalinistischen Terrors bedenkt und etwa die Moskauer Prozesse ab 1936. Sostschenko selbst war auch nicht vorsichtig genug und fiel in Ungnade, aus der er erst nach Stalins Tod wieder herauskam.

Im Fazit ist der schnoddrige Ton des Buchs angejahrt, wirkt nicht mehr überraschend locker, wie Zeitgenossen es empfunden haben mögen, sondern bisweilen arg naiv und betulich; die thematische Gliederung und vor allem die dort versammelten Anekdoten vermögen nicht zu überzeugen; der politische Impetus ist geschichtlich überholt und stört die Lektüre im 21. Jahrhundert erheblich.

Dennoch trägt die Heiterkeit des Textes und die Vielfalt der Ideen und Geschichten den Leser bis zum Ende.