Rezension

Anspruchsvolle Lektüre für Japan-LiebhaberInnen

Die Farbe von Winterkirschen - Jackie Copleton

Die Farbe von Winterkirschen
von Jackie Copleton

Ameratasu Takahashi ist Japanerin und lebt in Amerika. Als Augenzeugin des Atombombenabwurfs über Nagasaki suchte sie räumlichen Abstand zu dem Ort, an dem sie dieses Trauma erfuhr und dabei ihre Tochter und ihren Enkel verlor. Aber auch in dem fernen Land lassen sie die Erinnerungen nicht los und sie lebt mit ihrer Trauer, abgekapselt und zurück gezogen. Da taucht eines Tages ein junger Mann auf, der behauptet, ihr Enkel zu sein. Er wurde gerettet und seine Spur verlor sich in den Wirren der Nachkriegszeit. Ameratasu kann es nicht glauben, aber aufgerührt durch diese Begegnung werden ihre ganzen Erinnerungen aufgewühlt. Schafft sie es, sich der Vergangenheit zu stellen und alle abgerissenen Fäden wieder zu verbinden?

In diesem Buch kommen ganz viele Aspekte zusammen, die zusammen genommen ein rundes und eindrucksvolles Bild einer fernen Kultur und eines unvorstellbaren kollektiven Traumas ergeben, eingebettet in einen tragische Familiengeschichte. Japan und die Japaner sind mir fremd, daher war es für mich sehr interessant und aufschlussreich, dass die Autorin am Beginn eines jeden Kapitels eine kurze Abhandlung über japanische Denkart und Werte gesetzt hat. Diese feingeistigen Abschnitte dienen einerseits zur Einstimmung, aber auch zum Verständnis der Verhaltensweisen der verschiedenen Protagonisten im folgenden Kapitel. 

Um der Handlung folgen zu können, ist ein aufmerksames Lesen dringend notwendig. Wir werden nämlich nicht nur mit der Rahmenhandlung um Ameratasu und Hideo konfrontiert, sondern in vielen Abrissen mit Ameratasus Erinnerungen, aber auch mit den Tagebucheinträgen ihrer Tochter Yuko und mit Briefen von Shige, einer weiteren handlungstragenden Figur. Dies im bunten Mix, so dass sich die verschiedenen Perspektiven kaleidoskopartig ineinanderfügen und auch wieder auseinander brechen. Auch die Chronologie ist nicht geradlinig, sondern springt losgelöst von Zeit und Raum durch die Jahre und Orte.

Dabei enthüllt sich das Bild einer Familiengeschichte, die einerseits von traditionellen japanischen Werten geprägt ist, andererseits aber durch neuzeitliche Einflüsse und Denkweisen Konfliktpotential erhält. Der Bogen ist dabei sehr weit gespannt und die Geschichte schrammt geradeso an der Überfrachtung vorbei. Dennoch war es für mich sehr spannend, die verschiedenen Schicksale und Aspekte zu verfolgen. Im Mittelpunkt steht natürlich der Atombombenabwurf über Nagasaki, der sehr eindringlich und erschütternd geschildert wird, samt seiner Folgeerscheinungen. Aber auch das Leben der Geishas, die Verwicklung der Japaner ins Kriegsgeschehen und die Folgen für die Gesellschaft werden anhand von Einzelschicksalen ausgearbeitet.

Die Autorin schafft es durch ihren ausgefeilten, präzisen und fast schon distanzierten Sprachstil, dass diese emotionsgeladene Geschichte niemals kitschig wirkt. Ihre Hauptfigur Ameratasu zeigt sie in allen Facetten; sie versucht nicht, sie besonders sympathisch oder bemitleidenswert darzustellen, sondern liefert eine ehrliche und manchmal auch harte Charakterzeichnung. Fast war ich erleichtert, als das Ende sich sehr rund und harmonisch präsentierte, bei all dem starken Tobak vorweg.

Ich möchte das Buch als anspruchsvolle Lektüre auf einem hohen sprachlichen und erzählerischen Niveau weiter empfehlen, natürlich besonders für Japan-LiebhaberInnen, die daran sicher ihre Freude haben werden.