Rezension

Anstrengende Lektüre mit Reportagecharakter.

Phantome - Robert Prosser

Phantome
von Robert Prosser

Bewertet mit 3.5 Sternen

Weil es den übergeordneten Bogen nicht gab, tat ich mich schwer mit diesem Buch, das zwischen Erzählung und Reportage liegt.

Der Freund Saras, ist ein Sprayer, der Stippvisiten in den Untergrund Wiens macht, um Waggons des Öffentlichen Nahverkehrs mit seinem Logo zu „verschönern“. Man macht das wegen des Adrenalinkicks und um sich zu vergewissern, dass man existiert. Dies wird dem Sprayerjungen bewusst nach einer Reise nach Bosnien, dem Heimatland von Saras Mutter Anisa. Überall in Bosnien bemerken die beiden Spuren des Bosnischen Krieges.

Dieser Einstieg ist die etwas zusammenhanglose Überleitung zur Rückblende zu den Flüchtlingsschicksalen von Anisa und ihrem damaligen Freund Joran sowie anderer Menschen, die Anisa und Jovan gekannt haben.Anisa ist in einem Auffanglager in Wien, Jovan noch in Bosnien, wo er in der Armee einen Kampf kämpft, von dem er nicht weiß warum oder gegen wen er ausgeführt wird.

Das Nachwort, das der Autor schreibt, hätte ein Vorwort sein müssen. Man muss so in etwa wissen, was einen erwartet. Er hat Feldstudien betrieben. So sind die Geschichten, die er beschreibt, zwar fiktiv, aber der Wirklichkeit nachempfunden.

Natürlich ist jede einzelne Sentenz bedrückend und es ist Prossers Verdiest, das Geschehen des verheerenden Bürgerkriegs, das nach dem Zerfall der Jugoslawischen Republik sich ereignete, zu erzählen. Viele Romane haben sich dieser Thematik nicht angenommen.

Doch Prosser erklärt nichts und beschreibt lediglich und erstickt den Leser mit einer Fülle an Details. Er schildert, was in jedem Bürgerkrieg passiert: Das Aufgeliefertsein an fremde Mächte und Menschen, eventuell sogar an Menschen, die gestern noch Freunde waren, die Ratlosigkeit und Angst, weil es auf die Frage nach dem „warum“ keine Antworten gibt, jedenfalls nicht im gegenwärtigen Erlebnismoment, die Demütigungen, der Tod, die Folter, der Verrat, die Liebe, die verblasst, weil der Tod überhand nimmt.

Politische Erklärungen existieren jedoch durchaus, aber in diesem Roman, der in den Grenzen der Icherzählungen Anisas, Jovans und des unbekannten Sprayers verläuft, gibt es weder Erläuterungen zur Historie noch andere allgemeine Überlegungen, keinen Funken an Politik oder Geschichtsunterricht, so dass meine Konzentration bald nachlässt.

Dass Bürgerkrieg schrecklich ist, egal, wo er sich ereignet, ist eine ausgemachte Tatsache. Doch Prossers „Phantome“ macht leider gar nichts, ausser ein Detail ans andere zu reihen. Der Stil des Autors mit kurzen, hackenden Sätzen ist zudem recht anstrengend und verhindert einen leichten Lesefluss, die Personenbindung ist ebenfalls nur sehr schwach ausgeprägt. Prosser liegt mit dem Roman "Phantome" zwischen den Genres, es ist keine Erzählung, aber auch keine Reportage, könnte aber für beides gelten. Ich habe mich mit dem Reportageanteil schwer getan.

Auf die Longlist gelangt durch die Thematik? Sicher. Nicht ganz zu Unrecht. Denn natürlich bin ich der Meinung, dass Europa diesen, in der jüngsten Vergangenheit stattgefundenen Krieg nicht vergessen darf! Trotzdem, da beißt die Maus keinen Faden ab, habe ich mich, vornehmlich durch den Stil des Autors ausgelöst, gelangweilt und meine Betroffenheit hielt sich in Grenzen. Nicht eine Sekunde hat es mich wirklich interessiert, was passiert ist und was aus den Personen geworden ist, zu sprunghaft ist die Erzählung, vom Höxken zum Stöxken, es gibt keinen historischen oder politischen Bogen, keine Perspektive, keine Ein-, keine Aussichten.

Fazit: Die eigentlich sehr notwendige Erinnerung an den Bosnienkrieg erstickt an Detailfülle, krankt an schwacher Personenanbindung und lässt sich zudem schwer lesen. Reportagecharakter.

Kategorie: Antikriegsroman, Belletristik,
Deutscher Buchpreis, Longlist 2017
Verlag: Ullstein, 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 31. August 2017 um 09:23

Was Du schreibst, klingt überzeugend. Vielleicht dann besser ein Sachbuch zum Thema lesen?

sphere kommentierte am 31. August 2017 um 09:50

Wobei eins dann nicht ausreichen wird/kann; zu viele Verstrickungen sind in dieser äußerst komplizierten Thematik (die ja auch heute, 25 Jahre nach dem Krieg, Auswirkungen haben und den Brandherd aufrecht erhalten...), und um möglichst viele Betrachtungsweisen zu verstehen, müsste man Bücher aus jeder Nation lesen.

Steve Kaminski kommentierte am 01. September 2017 um 08:52

Na ja - das gilt für einen Roman ja auch, er hat ja auch nicht alle Perspektiven. Oder man liest ein Buch (Roman oder Sachbuch), das versucht, verschiedene Betrachtungsweisen einzubeziehen.

LySch kommentierte am 31. August 2017 um 09:49

Echt schade. Das Buch kklang vielversprechend. Aber da wird einem ein Sachbuch vermutlich mehr helfen...

LySch kommentierte am 31. August 2017 um 09:50

Ach, ich unhöflicher Mensch ^^ Deine Rezi ist aber sehr gelungen, weil sie das Gute/Wichtige betont, aber das Fehlende auch nicht schönredet. Gefällt mir! :)