Rezension

Armutszeugnis für deutsche Gesetze und Verwaltungspraktiken

Amra und Amir - Abschiebung in eine unbekannte Heimat - Maria Braig

Amra und Amir - Abschiebung in eine unbekannte Heimat
von Maria Braig

Bewertet mit 5 Sternen

Im Kosovokrieg kamen Amras Eltern nach Deutschland. Wegen des Krieges wurden sie geduldet, eine sehr schwammige Formulierung, denn jederzeit kann die Duldung enden und man wieder zurück in das Herkunftsland müssen. Für Amras Mutter war dies unvorstellbar, denn sie hatte schlimme Dinge von ihren "Landsmännern" ertragen müssen, die bei ihr große Ängste vor einer Abschiebung hervorrufen und schlimme Depressionen verursachen. Sie wird schwanger und Amra kommt zur Welt. Als Amra drei Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Sie hatte aber ohnehin kaum eine Beziehung zu ihm, denn er war kaum da. Sie ist nun allein mit ihrer Mutter, die in immer größere Depressionen verfällt. Als dann die Mitteilung kommt, dass sie zurück in den Kosovo sollen, bricht für die Mutter auch der letzte Rest einer an sich heilen Welt ein.

 

Amra ist zu dem Zeitpunkt noch ein Kind und kann ihrer Mutter nicht helfen, weiß nicht, was vorgeht. Von der Abschiebungsverfügung weiß sie nichts. Aber sie hat eine beste Freundin, Nina, mit der sie schon seit dem Kindergarten zusammen ist und deren Mutter für sie auch wie eine Mutter ist. Der vertraut sie sich an. Die weiß, was zu tun ist, bringt die Mutter in eine Klinik, leitet die ärztliche Behandlung in die Wege. Die Psychologin erreicht dann aus medizinischen Gründen eine dauerhafte Duldung der Mutter. Und ohne sie wird Amra auch nicht abgeschoben. Von alledem erfährt niemand etwas, die Mutter erzählt kein Wort - und Amra fragt auch nie nach. Sie lebt und fühlt sich als Deutsche.

 

Dann wird Amra 18. Sie hat einen Realschulabschluss und wird in einem halben Jahr ihre Lehre als Kfz-Mechatronikerin abschließen. Ein paar Tage nach dem Geburtstag kommt jedoch die Abschiebeanordnung. Amra fällt aus allen Wolken, ebenso wie ihr Umfeld. Sie alle haben nie daran gedacht, dass Amra keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Und leider ist Amra in ihrer Jugend einmal straffällig geworden wegen Kiffens. Das hat ihr nun eine negative Integrationsprognose beschert - und damit die Abschiebung. Sie hat sich wie jede Jugendliche benommen, auch andere aus der Clique waren erwischt worden - aber bei ihr hat es nun weiterreichende Folgen.

 

Die Clique tut vieles, um Amra zu helfen, aber die Behörden sind schneller. Amra wird in den Flieger in den Kosovo gesetzt - und findet sich plötzlich in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur wieder, in der sie ums Überleben kämpfen muss. Dazu kommt, dass sich Amra in einer von Männern dominierten Kultur stark unterdrückt fühlt, denn sie soll möglichst schnell heiraten und Kinder bekommen - für Amra undenkbar. Deshalb wird sie zu Amir, was ihr aufgrund ihrer relativ männlichen Erscheinung problemlos gelingt. Und eigentlich kann sie sich recht gut mit ihrem Leben als Mann identifizieren ...

 

Diese Geschichte von Amra hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, denn dieses Buch ist sehr gefühlvoll beschrieben - bitte nicht verwechseln mit gefühlsduselig und es drückt auch nicht auf die Tränendrüse. Es ist so geschrieben, dass man sich mit Amra gut identifizieren kann und erkennt, wie hilflos sie sich in den verschiedenen Situationen fühlt. Dabei ist vieles sehr objektiv beschrieben.

 

Die Erzählperspektive ändert sich in dem Buch von Kapitel zu Kapitel. Dies ist eigentlich nicht mein Fall, aber hier kommt man wegen der großen Überschrift, aus wessen Sicht gerade erzählt wird bzw. welches Geschehen gerade von außen betrachtet wird, nicht durcheinander. Und in diesem Buch gefiel mir der Wechsel der Perspektive sogar mal, denn er passt einfach zum Buch. Mal wird erzählt, wie Amra die Situation wahrnimmt, mal wird es aus Ninas Sicht geschildert oder dann wieder aus der Sicht der Mutter.

 

Ich habe in diesem Buch wirklich mit Amra mitgelitten und viele dieser Situationen haben mir die Augen geöffnet, was eine Abschiebung wirklich für den betroffenen Menschen bedeutet, der davor Jahre oder vielleicht auch sein ganzes Leben hier in Deutschland gelebt hat. Kleiner Kritikpunkt in dem Buch ist dann vielleicht, dass der Gesichtspunkt mit dem Gerichtsverfahren zwar angesprochen wird, es aber kein Ergebnis dazu gibt - zumindest habe ich keines mitbekommen.

 

Wie vermutlich viele andere Deutsche auch, habe ich mir nie Gedanken um Flüchtlinge, "geduldeter Aufenthalt" und Abschiebung gemacht. Das waren immer Fremde, Ausländer, die aus wirtschaftlichen Gründen hierher wollten etc. Ich bin zwar alles andere als fremdenunfreundlich - aber mir war das Thema fremd und was diese schönen politischen Schlagworte in der Praxis für die betroffenen Menschen bedeuten, habe ich nicht gewusst bzw. ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht. Mir war etwa nicht bewusst, dass ein bereits in Deutschland geborenes Kind nach seinem 18. Geburtstag abgeschoben werden kann, obwohl es voll integriert ist in die deutsche Kultur, Sprache und das ganze Leben, obwohl es hier eine gute Zukunft hat und arbeiten will, eine Lehre fast abgeschlossen hat. Allein diese Erkenntnis hat mich schwer betroffen gemacht. Wenn wir einen solchen "für die Gesellschaft wertvollen" Menschen wieder abschieben - was sagt das über unsere Kultur, unsere Gesetze aus? Soll das Zivilisation sein? Ist das der Weg, wie wir (deutsche) Menschen mit anderen Menschen umgehen wollen?

 

Auch nach diesem Buch bin ich zwar nicht dafür, dass wir alle Grenzen öffnen und hier leben darf, wer will - aber so geht es auch nicht! Da MUSS ein anderer Weg gefunden werden, das Asylrecht MUSS dringend überarbeitet werden!

 

Der andere Aspekt, der in diesem Buch angedeutet wird, ist die Frage, wie Amra sich selbst sieht, wie sie leben will - eher als Frau oder eher als Mann. Ich finde es toll, dass dieses Thema so behutsam besprochen wird, denn ich denke, man muss auch nicht immer alles platt reden und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausdiskutieren. Sie lebt irgendwann schließlich so, wie sie es für richtig hält und wie sie am besten damit leben kann, und es ist gut so!

 

Das Ende vom Buch ließ mich dann ein wenig unbefriedigt zurück - aber ich denke, so ist es eben auch im Leben und es verdeutlicht, wie nahe an der Realität diese Geschichte sich bewegt. Zum Buch passt dieses Ende einfach!

 

Fazit
Ein sehr lesenswertes Buch, in dem zwei große Probleme unserer deutschen Gesellschaft ganz behutsam, aber doch sehr deutlich behandelt werden aus der Sicht einer Betroffenen.