Rezension

Atmosphärischer Thriller mit anstrengender Protagonistin

Woman in Cabin 10 - Ruth Ware

Woman in Cabin 10
von Ruth Ware

Bewertet mit 4 Sternen

Kreuzfahrt ins Verderben

„In meinem Traum trieb die Frau in den kalten, lichtlosen Tiefen der Nordsee, weit unter den peitschenden Wellen und den Schreien der Möwen.“

 

Inhalt

 

Lo Blacklock reist als Vertreterin ihrer kurzfristig erkrankten Chefin auf der Jungfernfahrt des exklusiven Kreuzfahrtschiffes „Aurora Borealis“ nach Norwegen. Mit der Journalistin an Bord sind nur noch 9 weitere Passagiere und das Bordpersonal, denn das neue Schiff soll sich als Luxusliner der ganz besonderen Art in der Tourismusbranche etablieren. Deshalb sind beim ersten Turn über die Nordsee ausschließlich Reporter und Sternchen der Fernsehbranche an Bord, denn der Schiffseigner Richard Bullmer erwartet sich entsprechende Publicity. Doch schon am ersten Abend wird Lo unfreiwillige Zeugin eines Verbrechens, als sie ihre Zimmernachbarin aus Kabine 10 in den Fluten versinken sieht. Vollkommen verzweifelt wendet sie sich an den Sicherheitschef des Schiffes und schildert das Vorkommnis, doch sie muss erfahren, dass Kabine 10 überhaupt nicht belegt ist. Und da auch kein Bordmitglied verschwunden ist, schenkt ihr niemand Glauben. Nur der Mörder weiß jetzt, dass er Lo schnellstmöglich zum Schweigen bringen muss …

 

Meinung

 

Die englische Thrillerautorin Ruth Ware, die bereits mit ihrem Debütroman „Im dunklen, dunklen Wald“ internationalen Erfolg hatte, greift hier eine sehr exklusive, wenn auch altbewährte Szenerie für ihren Spannungsroman auf. Den Klassiker mit dem Mord auf dem Kreuzfahrtschiff haben bereits renommierte Kriminalautoren wie Agatha Christie und Sebastian Fitzek aufgegriffen und so erwartet der Leser den erfolgversprechenden Mix aus einer handvoll Protagonisten, die auf engstem Raum, abgeschottet von der Außenwelt dem Bösen ausgeliefert sind.

 

Die klare Rahmenhandlung lässt der Autorin viel Freiraum bei der Gestaltung ihrer eigenen Hauptpersonen, die hier nun gerade etwas übertrieben und aufgesetzt wirkt. Lo selbst, die Einzige, die wirklich in Gefahr zu schweben scheint, trägt eine Menge persönlichen Ballast mit sich herum. Sei es die traumatische Kindheit oder der erst kürzlich erlebte Einbruch in der eigenen Wohnung - sie ist das reinste Nervenbündel. Darüber hinaus versucht sie ihr Unvermögen über die eigene Arbeit zu kaschieren, indem sie Unmengen an Alkohol konsumiert und sich mit Psychopharmaka über Wasser hält. Leider wirkt gerade sie als leicht neurotische, unglaubwürdige Protagonistin, der man nur ein labiles Seelenkostüm zusprechen konnte etwas fehl am Platze. Deshalb fragt man sich als Leser, warum die Autorin hier so dick auftragen musste – weniger wäre vielleicht mehr gewesen.

 

Dafür entschädigt die Handlung wieder um einiges. Der Autorin gelingt es, den Spannungsaufbau konstant hoch zu halten und damit ein fesselndes Intermezzo zu gestalten. Die gewählte Erzählperspektive macht es unmöglich, die Beweggründe der Verantwortlichen vorzeitig zu erkunden, schlüpft man doch gemeinsam mit Lo in die Rolle der verzweifelten Unschuldigen. Das Rahmenprogramm mit den oberflächlichen, doch durchaus korrupten Mitreisenden, in Kombination mit der unabdingbaren Vertrauensfrage macht diesen Thriller zu einem Page-Turner.  

 

Fazit

 

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen atmosphärischen Thriller, der die Unausweichlichkeit, die Enge und Bedrängnis einer verzweifelten Frau sehr gut einfängt und ihre Handlungen gekonnt reflektiert. Das Geschehen selbst fesselt den Leser und nimmt ihn mit an Bord des Luxusliners. Dort kann man erleben, wie es sich anfühlt, kein Vertrauen, keine Hilfe und keine realistische Überlebenschance zu haben. Kleine Abstriche in der Ausarbeitung der Protagonisten kann man da verschmerzen. Insgesamt ein solider, gut lesbarer Kriminalroman.