Rezension

Auf der Suche nach der Wahrheit

Der Psychologe - Gabriel Rolón

Der Psychologe
von Gabriel Rolón

Wow! Januar & ich kann sagen, ich habe bereits mein Jahreshighlight gelesen! Mein einziger kleiner Kritikpunkt ist das benannte Genre „Kriminalroman“. Vielmehr das Wort ‚Krimi‘ welches sich darin  verbirgt ~ es könnte bei vielen LeserInnen falsche Erwartungen wecken!

Es handelt sich in diesem Buch nicht um eine klassische (polizeiliche) Ermittlung, sondern um die Gespräche mit den betroffenen Personen. Statt einer actiongeladenen Jagd, werden die nicht gesagten Worten analysiert:

„Die Kunst offenbart schonungslos, was wir im normalen Leben ständig zu kaschieren versuchen […]“ (S. 327)

Der Schreibstil hat mich sofort überzeugt! Dieser ist tiefgründig und doch so leicht umgesetzt, das ich einfach fasziniert war! Auf S. 7 hat sich der Autor für ein Zitat aus dem Dialog Marco Polos und Kublai Kahn (Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte) entschieden und ich wusste: „Ein Buch ganz nach meinem Geschmack!“
Poetisch, Psychologisch & wunderbar geschrieben! Bereits die ersten Sätze haben mich fasziniert und eingenommen:

„Nichts kommt dem Tod so nah wie das Schweigen […] Das Letzte, was dann noch vor dem Wahnsinn schützt, ist ein stummer, stechender Schmerz.“ (S. 13)

Im Fokus der Geschichte steht der Psychiater Dr. Rouviot, jedoch versteht sich der Autor hervorragend darin, die Lebensumstände und Gedanken der anderen Protagonisten dem Leser nahe zu bringen. Ohne die Leser zu überfordern, werden selbst die eher unbedeutenden Personen skizziert. Dies jedoch so harmonisch und fließend innerhalb der Hauptgeschichte, dass ich regelrecht eintauchte.
 Auch wenn einige Charaktere nur eine minimale Rolle spielen oder in kurzen Auszügen auftauchen, sind sie einem nahe und somit wird ein einnehmendes Gesamtbild geschaffen.

Die Geschichte führt uns nach Buenos Aires. Pablo Rouviot ist Psychoanalytiker und zu Beginn werden die Lebensumstände Pablos skizziert, seine ehemalige Beziehung und Kindheit. Nur so viel um dem Leser seinen Charakter nahe zu bringen. Auch die weiteren Charaktere werden mit kleinen Rückblicken vorgestellt, dies so gut eingearbeitet, das ich nicht ein Mal im gesamten Buch das Gefühl gehabt hatte, dadurch aus der Geschichte gerissen zu werden.
 Neben den Hauptfiguren tauchen auch, wie schon erwähnt, verschiedene Nebencharaktere auf. Würde ich diese aufzählen könnte man glauben, mit den Protagonisten überrannt zu werden! Aber eben nur glauben, denn beim Lesen merkte ich kaum, wie vielen Leben, Gedanken und Gefühlen ich begegnete. Der Autor lässt dies ganz unauffällig mit einfließen und doch so gezielt passend, das es einfach in sich stimmig ist!

Pablos neue Patienten Paula kommt wegen ihres Bruders Javier zu ihm. Er soll den Vater ermordet haben und Paula bittet um ein Gutachten bezüglich der Unzurechnungsfähigkeit. Bedingt durch Paulas Erzählungen und den Andeutungen von José Heredia, Paulas eigentlicher Psychoanalytiker und ebenfalls sein Freund, ist Pablos Neugierde geweckt.
Javier leidet an psychischen Störungen, die bereits zum versuchten Selbstmord und der selbst-Auspeitschung führten und doch zweifelt Pablo schnell an dessen Schuld. Schon fasst Versessen auf die Wahrheit begibt er sich auf die Suche nach Antworten, doch nicht jeder ist erfreut von seinem Vorhaben.
 Auf der Suche nach den wahren Hintergründen stößt Pablo auf immer mehr Fragen und ist sich bald nicht mehr sicher wer Freund und wer Feind ist. Denn was die einen ersehnen, das versuchen die anderen um jeden Preis zu vertuschen.

„Die Wahrheit – kaum etwas ersehnen und fürchten wir gleichzeitig so sehr“ (S. 253)

Das Buch ist in vier Teile gegliedert und die Besonderheit ist jeweils das letzte Kapitel dieser Abschnitte. In kursiver Schrift werden die Tätergedanken beschrieben. Bis zur Aufklärung jedoch ist es fast unmöglich den Mörder daraus zu identifizieren, da der Autor auf die Personalpronomen der dritten Person (er, sie) verzichtet.

Die Geschichte hat mich von Beginn an gefesselt und begeistert, aber ich kann mir vorstellen, das dieses Buch nicht jeden ansprechen wird. Gsell und Freud sind mit ihren Theorien und Praktiken ein begleitender Teil des Buches. Die psychologischen Begrifflichkeiten werden gut erklärt und sind auch für einen Laien auf diesem Gebiet nachvollziehbar. Da aber Pablo im Mittelpunkt steht, ist Psychologie ein immer wiederkehrendes Thema. Auch Begrifflichkeiten wie ‚Stress‘ werden eingehender betrachtet:

„[…] die körperliche und seelische Anspannung, an die man bei dem Begriff >>Stress<< denkt, kann auch die notwendige Voraussetzung für ein schnelles und erfolgreiches Reagieren in schwierigen Situationen sein.“ (S. 89)

Dies ist nur ein kleiner Auszug aus dem Kontext und auch dem gesamten Buch. Psychologie und Analyse sind nicht auf jeder Seite einnehmend, aber ein wichtiges Merkmal. Mich persönlich haben eben genau diese psychologischen Fakten und Analysen sehr angesprochen!

Wer nicht so interessiert an Psychologie ist, sollte sich dennoch nicht davon abschrecken lassen. Das Buch ist anspruchsvoll und doch leicht geschrieben.
Über psychiatrische Kliniken bis hin zu den weitgreifenden Machenschaften in Buenos Aires und einem wunderbarer Schlagabtausch zwischen Psychoanalytiker und Polizeihauptmeister! Ich kann nur sagen, das ich ein weiteres Buch des Autoren definitiv kaufen werde!

Dieses Buch erzählt eine Geschichte, dessen Verlauf schreckliches enthüllt und endet mit Antworten, ohne alles zu beantworten!

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