Rezension

Auf der Suche nach einem besseren Leben

Niemand ist bei den Kälbern - Alina Herbing

Niemand ist bei den Kälbern
von Alina Herbing

Bewertet mit 4 Sternen

"Niemand ist bei den Kälbern“ ist ein Buch, das mich auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt, sogar verstört hat. Hier hat die Autorin einen Nerv getroffen und das ist für mich ein Zeichen, dass Literatur auch immer eine gesellschaftliche Relevanz hat.

Die Autorin erzählt vom Landleben, aber kein Idyll, wie es so gern verklärt von Zeitschriften und Büchern dargestellt wird, sondern harte ungeschminkte Realität. In einer Region, die von Landflucht, Verarmung und fehlender Infrastruktur geplagt wird, lebt Christin auf dem Milchhof von Jan und seinen Eltern in Mecklenburg-Vorpommern. Die Lebensumstände sind hart, niedrige Milchpreise, fehlende Perspektiven, tagtäglich ein Lebenskampf.  Die Beziehung zu Jan ist geprägt von Lieblosigkeit und Misstrauen, sie bleibt dort, weil sie einfach keine andere Möglichkeit für sich sieht. Christin träumt von einem anderen Leben, aber antriebslos lässt sie sich treiben und wartet. Ihre innere Zerrissenheit ist schmerzhaft spürbar.

Es gibt kaum Figuren mit Empathie in diesem Buch, grade das macht die Lektüre so intensiv. Es zwingt mich dazu, mich mit Menschen auseinanderzusetzen, die so in meiner Lebenswirklichkeit nicht vorkommen. Alkoholmissbrauch, akzeptierte Kriminalität und das Fehlen von moralischen Leitlinien ist ein Ausdruck des Gefühls, abgehängt zu sein von einer lebenswerten Zukunft.

Die Hauptfigur, Christin, wurde mir im Lauf der Lektüre immer unsympathischer, erstaunlich, dass eine „Papierfigur“ diese Reaktion auslöste, für mich aber auch ein Beweis, wie gelungen Alina Herbing sie darstellte und wie genau sie beobachtet.

Das ist keine ländliche Idylle, das eine harte, raue Wirklichkeit, die in Sprache und Stil adäquat umgesetzt wurde.