Rezension

Azincourt bis Jehanne d'Arc - historisch fundiert und (dennoch?) spannend

Der Herr der Bogenschützen
von Mac P. Lorne

Bewertet mit 5 Sternen

„Der Herr der Bogenschützen“ von Mac P. Lorne ist zeitlich in der zweiten Hälfte des Hundertjährigen Krieges angesiedelt mit der Schlacht von Azincourt und dem Wirken der Jehanne d’Arc als entscheidende Handlungspunkte.

Protagonist ist John Holland, im Kindesalter enteignet und zum Halbwaisen geworden, da sein Vater, Halbbruder Richards II., diesen bis zu dessen Sturz durch Henry IV. unterstützt hat und dafür sein Leben ließ. Um den Schwur zu erfüllen, Rache zu nehmen und Titel und Ländereien zurückzugewinnen, schließt John sich als Anführer eines zunächst kleinen Trupps Bogenschützen dem Heer Henrys V. auf seinem Eroberungszug in Frankreich an. Währenddessen wird in Domrémy die kleine Jehanne geboren, die in jungen Jahren die Stimmen von Heiligen hört, die sie beauftragen, Frankreich von den Engländern zu befreien und dem Dauphin zur Königskrone zu verhelfen.

John hat früh schwere Schicksalsschläge erlitten, was die Bindung des Lesers zu ihm stärk. Man leidet mit ihm, freut sich mit ihm und feuert ihn an. Er ist ein sympathischer, edler Charakter, der den einen oder anderen Wandel in seinen Ansichten erlebt und für den Leser aber immer nachvollziehbar und ehrlich bleibt. Zuerst stieß mir negativ auf, dass es kaum optische Beschreibungen der Charaktere gibt. Nach kurzer Zeit habe ich dies aber zu schätzen gelernt, formt sich vor meinem Augen doch sowieso immer ein eigenes Bild, was dann meist gar nicht zu dem geschilderten Aussehen passt.

Der Autor hat einen angenehmen Schreibstil, man kommt schnell in einen guten Lesefluss. Etwas zu häufig gibt es allerdings Anmerkungen, die weitere Ereignisse ankündigen („Er ahnte nicht, wie er sich irrte." / "[...] dass er ihn/sie das letzte Mal sah“ o.ä.). Wer mit der Geschichte dieses Krieges grob vertraut ist, erfährt dadurch nichts Neues – für andere besteht hier aber durchaus Spoileralarm.

Sehr interessant sind unter anderem auch die Kapitel, in denen Lorne zwischendurch die französische Sicht näher beleuchtet (z.B. aus der Perspektive von Jehannes Eltern). Hier erfährt man viel darüber, wie die Bevölkerung den Hundertjährigen Krieg wahrgenommen hat und wie gespalten sie in ihrer Loyalität zu Charles und dem scheinbar entgegenstehenden Wunsch nach Frieden waren.

Die Ausstattung des Buches lässt das Herz jedes Fans historischer Romane höher schlagen: Beginnend mit Landkarte und Personenregister (hier wäre meiner Meinung nach eine Stammtafel hilfreicher gewesen) und abschließend mit Historischen Anmerkungen, Zeittafel, Glossar und Bibliografie fehlt es dem Leser diesbezüglich an nichts, um verständig, detailliert und fundiert in die gar nicht so simplen Hintergründe des Hundertjährigen Krieges einzusteigen. Doch auch der Protagonist vermittelt einem anderen Charakter des Buches zwischendurch einen groben Abriss darüber, was ein sinnvolles und dabei dennoch authentisches Stilmittel ist. 

Gerade, dass der Autor sehr nah an den wahren Begebenheiten bleibt, ist für mich ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Oft genug habe ich in der Leserunde gefragt „Ist das so belegt?“ „In der Geschichte passieren Dinge, die kann man sich gar nicht ausdenken.“, sagte er dazu. Dieses Buch ist ein Beweis, dass historische Romane gar nicht durch Halbwahrheiten oder Erfundenes aufgebauscht werden müssen. 

Dies ist aber auch nicht zuletzt der Fähigkeit Lornes geschuldet, langatmige Gegebenheiten (monatelange Belagerung) und nebensächliche Handlungsstränge (Privatleben von John) soweit runterzukürzen, dass es spannend, aber dennoch authentisch bleibt. Wenn Romanautoren zu sehr zu Historikern werden, verlieren sie sich in Details, Daten und Namen und der Leser findet sich plötzlich im Geschichtsbuch aus Schulzeiten wieder. Das ist hier nicht der Fall. Der Autor hat bei seiner Recherche zu einer anderen Buchreihe einen Charakter getroffen, dessen Leben selbst spannend genug ist und hat dies gut zu Papier gebracht.

Ich habe eigentlich vor langer Zeit aufgehört, historische Romanautoren zu lesen, die ich noch nicht kenne, da ich zu oft damit auf die Nase gefallen bin und Lesezeit doch so kostbar ist. Hier hat sich der Sprung ins kalte Wasser aber voll und ganz gelohnt, daher 5 von 5 Sternen, unter anderem für den wunderbaren John Holland und alles, was ich durch die historische Korrektheit gelernt habe.

Ich halte die Augen nach neuen Werken aus Lornes Feder offen!