Rezension

Bayerische Anekdoten á la Ludwig Thoma

Minutengeschichten - Oskar Maria Graf

Minutengeschichten
von Oskar Maria Graf

Bewertet mit 2 Sternen

Am 28. Juni 2017 jährt sich der 50. Todestag von Oskar Maria Graf. Der Ullstein-Verlag hat das zum Anlass genommen, eine erweiterte Ausgabe von Grafs „Minutengeschichten“ zu veröffentlichen. Herausgekommen ist eine Sammlung von kurzen Anekdoten, Kalendergeschichten und kleinen Erzählungen, die fast allesamt in Bayern spielen. Und wenn sich ein Bayer mal aus Bayern herausverirrt, dann trifft er zumindest einen Bayern in der großen, weiten Welt.

Oskar Maria Graf hat einen Blick für die Menschen. Der bayerische Heimatdichter präsentiert Lausbubengeschichten á la Ludwig Thoma, nur sind Grafs Lausbuben ausgemachte Mannsbilder und Frauen. Oskar Maria Graf gelingt es, bayerische Originale mit nur wenigen Federstrichen darzustellen. Die lassen sich so leicht nichts vormachen und gehen mit einem gesunden Misstrauen durch die Welt und haben keine Schwierigkeiten, andere übers Ohr zu hauen.

Ihnen kann niemand erzählen, dass Goethe 100 Jahre alt wurde – von so jemand altem hätten sie ja in der Zeitung gelesen. Dem Pfarrer gilt es zu beweisen, dass im Presssack kein Fleisch ist. Und wenn die Inflation kommt, werden eben Mietshäuser in der Stadt gekauft. Und dass die Reichskanzler allesamt nichts taugen liegt schlichtweg daran, dass das kein richtiger Beruf ist, der erlernt werden kann. Oder mit Graf gesagt: „Weil mir ebn koane glerntn Reichskanzler mehr hobn seitm Bismarck, drum ist oiwai dö Sauerei“.

Dass Graf seine Figuren tiefstes Bayerisch sprechen lässt, macht es zwar dem Leser nicht immer einfach (das angefügte Glossar hilft da auch nur bedingt), gibt aber den Figuren ihren ureigenen – bayerischen – Charme. Und wenn einmal tatsächlich die Landschaft beschrieben wird, dann nur, um zu zeigen, wie sehr sie den Menschen, die dort wohnen, ähnelt – oder umgekehrt.

Freilich darf nicht verschwiegen werden, dass Oskar Maria Graf eben nur ein bayerischer Heimatdichter ist – über seine kleinen Geschichten kann man heute nicht mehr immer schmunzeln. Und auch das anekdotenhafte Erzählen, das Graf so liebt, ist heute nicht mehr massentauglich. Ich kann mir daher kaum vorstellen, dass Grafs „Minutengeschichten“ heute noch begeisterte Leser finden.

Für mich war das spannendste zu sehen, wie Oskar Maria Graf mit der großen Politik umgeht, spielen seine Geschichten doch vorwiegend zwischen dem ersten Weltkrieg und den ersten Jahren der Bundesrepublik. Freilich enthält sich Graf einer Wertung – er lässt vielmehr seine Figuren sprechen, lässt sie diskutieren und sich arrangieren. Und macht so die große Politik ganz klein.

Versehen ist das Buch mit einem Nachwort von Wilfried F. Schoeller, dem Herausgeber der auf 16 Bände angelegten Werkausgabe von Oskar Maria Graf. Dabei geht Schoeller auch auf den spannenden Lebensweg von Oskar Maria Graf ein.