Rezension

Beeindruckend, aber mit einem Makel behaftet

Höllensturz - Ian Kershaw

Höllensturz
von Ian Kershaw

Bewertet mit 4 Sternen

Aus Ian Kershaws Vorwort wird deutlich, dass "Höllensturz" der erste Teil einer zweibändigen Geschichte Europas im 20.Jahrhundert ist. Zeitlich umfasst er die Jahre 1914 bis 1949, wobei naturgemäß kurze Exkursionen in die Zeit bevor bzw. danach nicht ausbleiben können. Kenntnisreich beschreibt der britische Historiker gesamteuropäische Ver- und Entwicklungen, die in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs führten. Ohne all zu sehr ins Detail gehen zu wollen, sei hier eine der Hauptursachen genannt. Im Europa der Zwischenkriegszeit konkurrierten drei Gesellschaftssysteme, die demokratischen Staaten im Westen und Norden Europas, das Sowjetmodell im Osten sowie zahlreiche mehr oder weniger autoritäre Regimes, vor allem im Süden und Südosten. Generalisierend kann man sagen, dass, je stärker die wirtschaftlichen Probleme wurden und, damit verbunden, die Angst vor dem Kommunismus anstieg, sich die Menschen offensichtlich verstärkt die Lösung von autoritären Strukturen versprachen. Dabei waren Nationalismus und Ausgrenzung von Minderheiten der Kitt, der diese Staaten zusammenhielt. Gerade was die im Buch beschriebenen Entwicklungen in Polen und Ungarn betrifft, bekommt der Leser ein ungutes Gefühl, wenn er an die gegenwärtige Politik dort denkt. Die stärkste Form der autoritären Staatsführung, der Faschismus, setze sich letztendlich "nur" in den drei Staaten Deutsches Reich, Italien und Spanien durch, wobei fatalerweise das Deutsche Reich mit seiner Wirtschaftskraft und seinem Gefühl, gedemütigt aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen zu sein, zum unbestrittenem Kriegstreiber zum Zweiten Weltbrand wurde. Dabei verhehlt Kershaw keineswegs die Fehler, die Großbritannien mit seiner sogenannten Appeasement-Politik beging, deren Höherpunkt der Verkauf der Tschechoslowakei war.

Mit der Niederlage des Faschismus und seiner menschenverachtenden Politik wurde aus der Trias der Gesellschaftsmodelle innerhalb Europas ein Dualismus, der spätere kalte Krieg zwischen Ost- und West, Eine Entwicklung, die sich im Nachhinein in atemberaubender Schnelligkeit vollzog.

So beeindruckend dieses Buch auch ist, es krankt an einem gravierenden Mangel, den Kershaw allerdings nicht selbst zu verantworten hat. Im Vorwort erwähnt er fast beiläufig, dass es bei Penguin Random House nicht üblich sei, einen Anmerkungsapparat zu machen. Diese unbefriedigende Vorgehensweise würde ich keinem Schüler bei einem Referat durchgehen lassen, zumal man als Leser bei so manchem Zitat gern den Beleg nachlesen würde.

Nichtsdestotrotz steht der zweite Teil, so er denn erscheint, auf meiner privaten Leseliste.