Rezension

Beeindruckende Familiengeschichte

Das Lied der Störche - Ulrike Renk

Das Lied der Störche
von Ulrike Renk

Bewertet mit 5 Sternen

„...Manchmal ist es besser, wenn man ehrlich sagt, dass man etwas nicht kann und um Hilfe bittet...“

 

Seit dem ersten Weltkrieg sind drei Jahre vergangen. Stefanie von Fennhusen hat zum dritten Mal geheiratet. Erik, ihr Gatte, ist ein Vetter ihres zweiten Mannes. Nun zieht sie mit ihren Kindern Frederike, Fritz und Gerta aus Potsdam auf sein Gut nach Ostpreußen. Die elfjährige Frederike trägt einen anderen Familiennamen, denn sie ist die Tochter von Stefanies ersten Mann.

Die Autorin hat einen interessanten und abwechslungsreichen Familienroman geschrieben. Das Buch lässt sich angenehm lesen und hat mich schnell in seinen Bann gezogen.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Erik legt zwar Wert darauf, dass gewisse Regeln eingehalten werden, doch er lässt seiner Frau viel Freiheit. Für sie ist der Anfang nicht einfach, denn die Führung eines städtischen Haushaltes und die Leitung eines Gutes sind nicht zu vergleichen. Bei letzteren bestimmen Wetter und Jahreszeit viele Entscheidungen.

Frederike ist für ihr Alter sehr reif. Sie weiß, dass sie kein Anspruch auf das Gut hat. Andererseits bringt sie sich bei vielfältigen Arbeiten ein und hat einen Blick für die Leistung der Arbeiter. Obiges Zitat fällt, als ihr Bruder sich vor der Arbeit auf dem Gut drücken will, weil er vieles nicht kann.

Der Schriftstil des Buches fällt durch seine bildhafte Sprache und seine Genauigkeit auf. Die Autorin beherrscht den Umgang mit Metaphern. Das Leben auf dem Hof wird in all seinen Facetten ausführlich beschrieben. Die Gespräche der Männer erlauben einen Einblick in die Weltpolitik. Hinzu kommt, dass Ostpreußen als Folge des Krieges vom Reich abgeschnitten ist und jede Reise durch den polnischen Korridor führt.

Als besonderes Element ist zu werten, dass zu Beginn die Eingewöhnungsphase und die Vorstellung der Personen erfolgt und dann die Handlung acht Jahre später fortsetzt. Über die Zwischenzeit gibt es nur wenige wesentliche Informationen. Wieder werden die Sorgen der Gutsbesitzer wegen der politischen Lage thematisiert. Insbesondere spielen aber Feste und Jagden eine zunehmende Rolle, denn es gilt, für Frederike einen standesgemäßen Ehemann zu finden. Stefanies Vorgehensweise dabei muss man nicht mögen. Frederike hat sich zu einer verantwortungsbewussten jungen Frau entwickelt. Sie sieht das Verhalten der Mutter kritisch.

Natürlich kommt auch der Humor nicht zu kurz. Wo mehrere Kinder zusammenleben, bleiben Streiche und kleine Ungehorsamkeiten nicht aus. Es wird auch aufgezeigt, wie hart die Folgen sind, wenn Grenzen dabei überschritten werden.

Sehr gut gibt die Autorin die Emotionen ihrer Protagonisten wieder. Das zeigt sich insbesondere in den Gesprächen zwischen Frederike und ihrer Mutter. Hier prallen Selbstbestimmungsrecht und ehrgeizige Pläne schonungslos aufeinander. Neben Frederike mochte ich besonders Erik. Er zeigt im Gegensatz zu seiner Frau viel Empathie und behandelt alle Kinder gleich.

Eingebettet in die Geschichte sind einige Lieder aus der Gegend. Sie sorgen für Authentizität.

Das Nachwort der Autorin trennt Fiktion von Realität.

Das Cover mit der nachdenklichen jungen Frau vor dem Gutshaus passt zur Geschichte.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es gibt das Leben so wieder, wie es zur damaligen Zeit war mit all seinen Höhen und Tiefen. Es zeigt aber auch, das sich ein Umbruch andeutet. Die jungen Leute wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Die Spannung nimmt das Buch aus den komplexen Beziehungen der Protagonisten und ihren Wünschen und Vorstellungen.