Rezension

Beeindruckende Familiengeschichte

Das Haus der schönen Dinge - Heidi Rehn

Das Haus der schönen Dinge
von Heidi Rehn

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ehrfürchtig hatten sich die geladenen Gäste wie auch das Verkaufspersonal am Eingang um den roten Teppich aufgereiht, während Thea und Jacob dem königlichen Besucher ihre erste Aufwartung machten...“

 

Wir schreiben das Jahr 1897. Thea und Jacob Hirschvogl stehen vor ihrem größten Tag. Ihr neues Kaufhaus am Rindermarkt in München wird heute feierlich eröffnet. Zu den Gästen gehört ebenfalls Seine Majestät, der Prinzregent. Obiges Zitat bezieht sich auf seine Ankunft. Für den jüdischen Kaufmann Jacob Hirschvogl ist es eine besondere Ehre, zum königlich bayrischen Hoflieferant ernannt worden zu sein.

Die Autorin hat einen fesselnden historischen Roman über den Aufstieg und Fall einer Kaufmannsfamilie geschrieben. Gleichzeitig gibt das Buch wichtige Etappe bayrischer Geschichte wieder.

Der Personen werden gut charakterisiert. Jacob ist Kaufmann mit Leib und Seele. Sein Ehrgeiz allerdings hält sich in Grenzen. Dafür zeichnen ihn Gewissenhaftigkeit und ein gesundes Gefühl für geschäftliche Gefahren aus. Treibende Kraft für die Erfolge ist seine Frau Thea. Sie hat ein Händchen dafür, wie ein Kaufhaus zu dekorieren ist, was bei der Kundschaft ankommt und nimmt zusätzliche Angebote in Angriff. Kaufhaus Hirschvogl bietet gehobenen Standard und viel für das Auge. Beide sorgen dafür, dass sich die Angestellten wohlfühlen und fallen in Notzeiten durch ihr soziales Engagement auf. Für die Tochter Lily ist das Kaufhaus ihr zweites Zuhause. Sie träumt davon, einmal die Leitung übernehmen zu dürfen. Das sieht ihr Vater anders. Der verpflichtet Benno, den ältesten Sohn, eine kaufmännische Lehre zu absolvieren. Benno beugt sich, hat aber andere Träume, die er nach seiner Volljährigkeit auch verwirklicht.

Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Anschaulich und mit treffenden Bildern beschreibt die Autorin das Kaufhaus und Theas verschiedene Dekorationen. Ich konnte mir alles prima vorstellen. Freundschaften der Eltern und der Kinder spielen für die weitere Entwicklung ebenso eine Rolle wie die gesellschaftlichen Verhältnisse. Erste Probleme gibt es in den Zwanziger Jahren. Plötzlich redet die Politik davon, Juden ausweisen zu wollen. Thea und Jacob leben seit mehreren Generationen in München. Das schützt sie plötzlich nicht mehr vor Anfeindungen. Alles, was sie tun, wird ins Gegenteil verkehrt. Doch die Zeiten werden wieder besser. Lily nimmt zunehmend zusammen mit ihren Eltern die Geschäfte in die Hand. Sie ahnen nicht, was ihnen in wenigen Jahren drohen wird. Gut wird von der Autorin herausgearbeitet, wie sich in schwierigen Zeiten zeigt, auf welche Freunde sie sich stützen können. Sehr gekonnt wird dargestellt, wie tief die gesellschaftlichen Veränderungen ins Privatleben eingreifen. Für eine lange hinausgeschobene Entscheidung kann es von einer Minute auf die andere zu spät sein. Mancher hofft, auf Kosten der anderen ein Schnäppchen machen zu können. Selbst vor dem Alter hat die braune Jugend kein Respekt.

Besonders betroffen gemacht hat mich der kurze Abschnitt im Jahre 1952. Fehlendes Schuldbewusstsein macht Opfer zu Beschuldigten und Täter zu Opfern.

Zu den stilistischen Höhepunkten gehören die vielfältigen Gespräche. Hier werden nicht nur persönliche, sondern auch politische Fragen zum Teil konträr auf den Punkt gebracht.

Auch die Wiedergabe der Emotionen ist sehr gut gelungen, sei es Freude oder Trauer. Es bedurfte nicht vieler Worte. Oft sagten die Taten der Protagonisten alles aus.

Ein Stammbaum auf der ersten Innenseite, die Einladung zur Eröffnung des Kaufhauses, ein Stadtplan von München auf der letzten Umschlagseite und ein ausführliches Glossar ergänzen das Buch.

Das Cover mit den Blick der jungen Frau in das Kaufhaus wirkt sehr ansprechend.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Die Geschichte hat mich berührt und bewegt. Die

Autorin versteht es, mich als Leser mit ihren Protagonisten träumen, bangen und kämpfen zu lassen.

Ein Zitat aus ihrem Nachwort soll diese Rezension abschließen:

 

„...In der Zeit des Nationalsozialismus wurden diese Geschäfte in unsern Innenstädten ausgelöscht – wie alles, was jüdischen Ursprungs war...Damit haben wir weitaus mehr verloren als „nur“ Kauf- und Warenhäuser. Letztendlich ist es ein Teil unserer Kultur, der für immer fehlt...“