Rezension

Beeindruckende Mischung aus Historie und Fiktion...

Das Einstein-Mädchen - Philip Sington

Das Einstein-Mädchen
von Philip Sington

Bewertet mit 4 Sternen

Als in den dreissiger Jahren in den Wäldern von Berlin ein nacktes Mädchen, nur mit einer Ausgabe der Quantentheorie, gefunden wird, erhält es von der Presse sofort den Namen Einstein-Girl . Ein Psychiater begibt sich auf eine Spur von Serbien bis in eine psychiatrische Klinik in Zürich.

Berlin 1932. Eine junge Frau wird im Wald bei Caputh bewusstlos aufgefunden. In der Nähe entdeckt man den Programmzettel eines Vortrag von Albert Einstein: "Der gegenwärtige Stand der Quantentheorie". Die Presse tauft sie daraufhin das "Einstein-Mädchen". Als sie aus dem Koma erwacht, hat sie keine Erinnerung an ihr früheres Leben, weiß nicht einmal ihren Namen.
Martin Kirsch, Psychiater an der Charité, ist fasziniert von diesem ungewöhnlichen Fall. Im Lauf der Zeit fühlt er sich immer mehr zu seiner Patientin hingezogen. Bei seinen eigenen, heimlichen Nachforschungen zur Identität der "Patientin E." stößt er auf ein Notizbuch mit mathematischen Formeln und einen Brief, adressiert an Mileva Einstein-Maric, die erste Frau Albert Einsteins. Um Mileva aufzusuchen, reist er nach Zürich und lernt dort auch ihren und Einsteins Sohn Eduard kennen, der sich im Burghölzli, einer Nervenheilanstalt befindet. Weiß Eduard, wer das geheimnisvolle "Einstein-Mädchen" ist? Kirsch ahnt noch nicht, dass die "Patientin E." sein letzter Fall sein wird - denn während er sich in Zürich aufhält, ergreifen in Deutschland die Nazis die Macht...

Vordergründig geht es in diesem Buch darum, dem "Einstein-Mädchen" seine wahre Identität wiederzugeben, herauszufinden, was ihren Gedächtnisverlusst bewirkt hat und woher sie überhaupt stammt. Eingebettet ist das Ganze in einen historischen Kontext des Jahres 1932, den der Autor atmosphärisch dicht und glaubhaft präsentiert. Deutschland zwischen den Kriegen, die Machtergreifung durch die Nazis, die sich verändernde politische Stimmung - all dies schlägt sich nieder auf die Geschehnisse rund um das "Einstein-Mädchen".
Die Erzählung erweist sich als eine interessante Mischung aus psychologischem und physikalischem Hintergrund, aus historischer Realität und Fiktion. Für den Leser gestalten sich diese Ansätze sowohl informativ als auch unterhaltsam. Sington bietet sozusagen nebenher einen interessanten Einblick in den Stand der Psychiatrie und ihrer Behandlungsmethoden zu der damaligen Zeit sowie den Versuch einer populärwissenschaftlichen Erläuterung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik - nichtsdestotrotz habe ich diese physikalischen Phänomene auch nach der Lektüre dieses Buches immer noch nicht verstanden.

Entsprechend streift Singtons Geschichte auch berühmte Persönlichkeiten wie Sigmund Freud oder S. G. Jung - von vorrangigem Interesse ist dabei jedoch die Person Albert Einsteins. Hier wirkt die Mischung aus historischen Fakten und schriftstellerischer Freiheit für mich besonders gelungen. Während sich Einstein ansonsten eher mit einem oberflächlichen Bild von Brillianz, Humor und Schrulligkeit in den Köpfen von heute verankert hat, versteht Sington es, der Persönlichkeit Einsteins Tiefen zu geben, helle und dunkle Seiten, einen Hintergrund. So wie es hätte sein können.
Die Geschichte selbst ist ruhig erzählt, die Spannung kann oft nur unter der Oberfläche erahnt werden. Dennoch ist die Entwicklung interessant, auch wenn die Geschehnisse um den Psychiater Martin Kirsch gerade im letzten Drittel des Buches zeitweise ins Absurde und Kafkaeske abdriften, was mir weniger gut gefiel. Das Ende war letztlich vorhersehbar aber passend, und v.a. die "Historische Anmerkung" am Schluss des Buches erinnerte mich daran, dass im Regal schon seit Jahren eine ungelesene Biografie von Albert Einstein vor sich hin staubt. Das muss ich dann wohl bald mal ändern...

Insgesamt ein Buch, das sich keinem Genre klar zuordnen lässt, trotz der ruhigen und manchmal auch spannungslosen Erzählweise ein interessanter und unterhaltsamer Mix, wobei die Atmosphäre des Berlin von 1932 für mich hervorragend getroffen ist.

© Parden