Rezension

Beeindruckendes Kammerspiel mit Rückblicken; spannend und Studie über Branche und Menschen

Der kalte Saphir - Michael Düblin

Der kalte Saphir
von Michael Düblin

Bewertet mit 4 Sternen

Wieder ein Buch, das ich in ganz kurzer Zeit durchgelesen habe, weil es mich in den Bann zog. Wieder ein Buch, bei dem ich die Wendungen so nicht vorausgesehen hatte (bis auf eine, weil sie sich aus den ausgelegten Spuren für mich ergab). Wieder ein Buch,  bei dem ich immer noch auf das Ende starre (das andere war „Nichts ist je vergessen“ von Wendy Walker ganz kurz vorher).

Ich bin mir wieder nicht ganz sicher, welchem Genre ich das zuordnen soll, ein Krimi ist das nicht wirklich, ein Hauch Psycho (Psycho- was?) ist da, viel Gesellschaftsstudie, viel psychologische Studie der Protagonisten - …ein Roman.

Der charismatische Frontmann der legendären Band Klarstein wurde vor über dreißig Jahren erschossen – die Journalistin Jule Sommer will im Interview mit dem damaligen Tontechniker der Band, Sebastian Winter, die Ereignisse aufklären – ein Tipp des damaligen Bandmitglieds Herb (man beachte: Sommer, Winter, und Herb st?).

Der Titel des Buchs bezieht sich auf den Bandnamen „Klarstein“, den sich der Gründer und Frontmann Jerome ausgedacht hatte – um damals Zed zu überreden, für die Band als Drummerin tätig zu werden, hatte er ihr einen Ring mit dazu passendem blauen Saphir geschenkt.

Das Interview in dem einsam gelegenen Haus von Winter mit Sommer gerät zum Kammerspiel, teils klaustrophobisch, teils zwanghaft, häufig mit bedrohlichem Unterton. Es wird früh klar, dass Winter vorhat, seiner eigenen Dramaturgie zu folgen; bei ihm hat fast alles eine tiefere Bedeutung, so denkt er zum Beispiel mit Blick auf Journalistin Sommer: „Wenn sie wüsste, was dieses Schwimmbecken für ihn bedeutet.“ S. 46 Der Eindruck entsteht, dass beide einander belauern, jeder vom anderen profitieren möchte.

 Die Erzählungen des Tontechnikers geraten zur Reise in die Vergangenheit: „Ich erzähle Ihnen die ganze Story. Ungeschminkt. Aber nur, wenn sie mir versprechen, dass Sie sie auch so veröffentlichen werden, genau so, wie ich sie Ihnen erzähle“. S 22. Die Rückblenden sind atmosphärisch dicht, man kann fast die Geräusche im alten Haus hören oder den Alkohol und die Zigaretten in den Kneipen riechen. Nebenbei bekommt man eine Vorstellung, welche Härten es mit sich bringt, als junge Band bekannt werden zu wollen: die Reisen, der Geldmangel, lange aufeinander zu hocken, die Proben, die Improvisation, Feilen an Songs – aber auch die Businessmaschinerie, erste Anhänger. Durch den Kunstgriff des Wechsels zwischen den Zeitebenen bleibt eine gewisse Distanz zu den Figuren beim Leser durchaus bestehen, auf mich wirkt dadurch der Sog, der sich um die Mitglieder auftat inklusive des einsetzenden Erfolgstaumels surreal – genauso, wie sich so ein Triumph sicherlich für „betroffene“ Bandmitglieder darstellt.

Insgesamt ein wirklich gut und fesselnd geschriebenes Buch mit düsterer Spannung und viel Einblick in Branche, Menschen und Beziehungen. Der Schreibstil ist flüssig, mit einigen wenigen für mich ungewohnten Ausdrücken, so dem schweizerdeutschen Begriff für eine Obststiege (der Autor ist Schweizer). Manko war für mich vielleicht eine ungewöhnliche Wendung zu viel, die Tochter von Thérèse hätte es nach meiner Meinung nicht gebraucht. Genial dafür die „multimediale“ Einbettung des Buches: es gibt eine Webseite der Band und man kann sogar ihre Lieder hören (bzw., als Leser des Buches auch herunterladen!). Das Ende – ja, da schlage ich den Bogen zu meinen einleitenden Worten – wieder ein Buch, bei dem ich Idee und sicherlich Rückgrat des Autors bezüglich des Endes bewundere.

Übrigens ist der Autor Informatiker und hat vorher zwei Bücher geschrieben: eines ist ein Fußballroman, das andere ein Roman über einen Alpenflug, was ich im Zusammenspiel auch für reichlich bemerkenswert halte.
4 von 5 möglichen Sternen (einfach nur, weil noch ein Hauch Luft nach oben ist).