Rezension

Befreiungen

Ein mögliches Leben
von Hannes Köhler

Bewertet mit 5 Sternen

Franz wird in der Mitte der 1920er Jahre geboren. Sein Vater ist glühender Anhänger des neuen Kanzlers und verherrlicht das System. Er erlebt eine behütete, Fähnchen schwingende Kindheit zwischen Hitlerjugend, öffentlichen Versammlungen und Auftritten von Göring. Einzig die aufkommende System-Kritik seines älteren Bruders verunsichert ihn.

Franz beginnt eine Arbeit als Bergmann, kurz darauf wird er Soldat. Mit noch nicht mal 20 Jahren gerät er in amerikanische Gefangenschaft. Er wird in ein Gefangenenlager nach USA deportiert.

Heute, mit fast 90 Jahren, fliegt er, begleitet von seinem Enkel, wieder in die USA. Zurück zu seinen Erinnerungen, zurück in das Land und in die Zeit, die seine Prägung durch den Vater, durch das NS-Regime und den gepriesenen Führer substituiert haben. Dieser Vorgang wird ein schleichender Prozess. Er beginnt mit Scham über seine Gedanken, froh und erleichtert darüber zu sein, nicht mehr am Kriegt teilnehmen zu müssen. Es folgt ein langsames, vorsichtiges Herantasten an Zweifel, ob seine Einstellung die richtige ist. Es keimt Mut auf zu einer anderen Denkweise und der Mut verlässt ihn wieder. Doch sein innerer Kampf geht weiter. Um ihn herum erlebt er Kameraden, die noch auf der einen Seite stehen und Kameraden, die sich abwenden, die Stellung beziehen, die sich entnazifizieren. Seine Positionierung wird ihm immer klarer. Als sein Freund von Hitler-treuen ermordet wird, stellt er sich seinen letzten Ängsten.

Hannes Köhler beschreibt überzeugend eine empirische Entwicklung. Er lässt Franz auch einräumen, dass er es ohne seinen Bruder und ohne seinen Freund vielleicht nicht geschafft hätte, dass er vielleicht immer noch an die alte Überzeugung glauben würde. Diese Geschichte ist eine unverhüllte Auseinandersetzung mit diesem Thema. Auch geht es hierin um Haltung. Haltung zu sich, seinen Träumen, zu seinen Freunden und zu seiner Familie. Und es geht um Prägung, einschneidende, die wie mit einem Meißel eingetrieben wird, und alltägliche, wie das Sehen durch den Blick eines anderen.

Der Autor entwirft in seiner Beschreibung eine Distanz, die eine Beklemmung entstehen lässt, die in ihrer ungeheuren Dimension direkt bei mir angekommen ist. Ich habe die Schwere gespürt und das Leichte, die Enge und die Weite. Für mich gab es nichts Entbehrliches in dieser Geschichte, alles war wesentlich, von der Ausdehnung und den Farben des Landes und des Himmels über die physische und psychische Befreiung bis hin zu den Annäherungen innerhalb der Familie.

Dieses Buch ist auch ein wichtiger Beitrag zur Vergegenwärtigung der Erfahrungen der Soldaten in Gefangenschaft und den Auswirkungen der Kriegserlebnisse auf die nachfolgenden Generationen.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 19. Februar 2018 um 18:42

Ja! Ist es. Dennoch bin ich der Thematik müde.