Rezension

Begeisternd und absolut fesselnd

München - Robert Harris

München
von Robert Harris

Bewertet mit 5 Sternen

Nach seinem 1992 veröffentlichten Debütroman „Vaterland“, erst kürzlich als Taschenbuch wieder neu herausgegeben, und dem 1995 folgenden Spionagethriller „Enigma“ ist 20 Jahre und einige Bücher später nun „München“ der dritte Roman des britischen Schriftstellers Robert Harris (60), der sich mit Hitler-Deutschland befasst. In seinem im Oktober 2017 beim Heyne-Verlag erschienenen Politthriller über das Zustandekommen und den Abschluss des Münchner Abkommens im Herbst 1938 geht es um Hochverrat und Unbestechlichkeit, um Loyalität und Vertrauensbruch, um moralische Standfestigkeit und die manchem vielleicht unmoralisch erscheinenden Zwänge der Realpolitik. Wie in seinen früheren Romanen verwebt der auf historische Thriller spezialisierte Autor auch in „München“ in gewohnt faszinierender Weise wieder Fakten und Fiktion, dass man als Leser so manches Mal kaum zu unterscheiden vermag. Gerade aber dies ist Harris' Erfolgsgeheimnis, wodurch auch „München“ wieder zu Recht zum Bestseller wurde. Eindrucksvoll und spannend beschreibt Harris aus britischer Sicht, wie der englische Premier Chamberlain den deutschen Reichskanzler Hitler fast überfallartig zu einem kurzfristigen Treffen am 29. und 30. September 1938 in München zwingt, gemeinsam mit dem französischen Premier Daladier und dem italienischen Diktator Mussolini. Ziel des Treffens ist ein Abkommen über die friedliche Überlassung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich bei gleichzeitigem Verzicht des von Hitler gewollten Krieges unter Inkaufnahme des Verrats an den Tschechen. Denn sowohl England als auch Frankreich waren 1938 in Truppenstärke und Ausrüstung noch nicht kriegsfähig. Schnell wird dem Leser deutlich, dass nicht Ehre und Moral die Tagespolitik der Alliierten bestimmt, sondern ausschließlich die subjektiven Interessen des eigenen Landes. Auch der fiktiv in die real-historische Handlung eingebaute junge Offizier Paul von Hartmann, Mitglied der Widerstandsgruppe um General Hans Oster, kann trotz Vorlage eines streng geheimen Protokolls über Hitlers kriegerische Eroberungspläne den britischen Premier nicht überzeugen, gegen den scheinbar noch beeinflussbaren Diktator vorzugehen, zumal das Schicksal der Sudetendeutschen die Engländer nicht berührt. „Ich fürchte, Sie müssen noch einige Lektionen in politischer Realität lernen“, nimmt Chamberlain dem jungen Idealisten jegliche Illusion. „Britain first“ kommt da dem Leser unweigerlich in den Sinn. Mit Robert Harris wird man zum Teilhaber des Geschehens im Münchner Führerbau. Man beobachtet die in den Fluren bei Häppchen und Bier sich langweilenden Delegationsmitglieder. Minuten später steht man als Leser unsichtbar in der Ecke des Sitzungssaales, in dem die Landesführer verbissen verhandeln. Sogar in seiner kleinbürgerlichen Privatwohnung am Prinzregentenplatz in Bogenhausen ist man an Hitlers Seite. Denn auch diese hat sich Harris bei seinen Recherchen angesehen. „München“ ist ein Politthriller, der durch seine detailgenaue Wirklichkeitsnähe begeistert und mit seiner Handlung fesselt. Nicht zuletzt lernt man ganz beiläufig ein bedeutsames Kapitel deutscher Geschichte.