Rezension

Beim Lesen immer wieder laut »Ja! Genau!« schreien

Das Lied der Träumerin - Tanya Stewner

Das Lied der Träumerin
von Tanya Stewner

"Die Liebe meines Leben ist meine Liebe für das Leben."

Nach dem Tod ihres geliebten Vaters droht Jana an dem Schweigen ihrer Mutter zu zerbrechen. Diese erdrückt sie nicht nur mit ihrer Bodenständigkeit, sondern auch mit ihrer kühlen Art den Tod ihres Mannes wortlos zu akzeptieren. Jana ist sich sicher, dass ihr Vater letzten Endes nicht nur aufgrund seiner Krankheit, sondern vor allem auch an seinem langweiligen, mittelmäßigen Leben gestorben ist. Und dafür gibt sie einzig und allein ihrer Mutter die Schuld, denn genau wie Jana selbst war ihr Vater Pianist, Genießer und hatte Träume, die er für das sichere Familienleben aufgegeben hat. Und vor allem hat er hat ihr die Bedeutung von Musik vermittelt.

"Es hatte sich etwas geändert. Früher war ich eine halbherzige Rebellin. Das bin ich jetzt nicht mehr. Heute rebelliere ich gegen Halbherzigkeit."

Um sich aus den Fesseln ihrer Mutter zu lösen, verkündet Jana nicht nur, dass sie nicht studieren wird und die Schule abbricht, sondern auch dass sich einen neuen Namen gibt, schließlich ihre Sachen packt und nach London geht – der Stadt, in der Träume wahr werden. In der Heimatstadt ihres Vaters mietet sie sich ein kleines WG-Zimmer in einem ansehnlichem Haus, um als Angelia endlich das zu tun, was sie wirklich möchte: »Ich wollte leben. Leben und singen und leben und Klavier spielen und leben und lieben und leben und sehen und leben. Und sollte es nur eine Illusion sein, dass diese Welt es wert war, sie so sehr zu lieben und so sehr in ihr leben zu wollen, wie ich es tat, dann war es zumindest meine Illusion.«

"Für mich ist ein Träumer jemand, der ein festes Ziel vor Augen hat. Jemand, der sich mit Haut und Haaren ins Leben stürzt, um seinen Traum zu verwirklichen. Jemand, der es wagt, für seinen Traum zu leben."

Mit Josh, einem ihrer beiden Mitbewohner, wird Jana auf Antrieb warm und findet in ihm schließlich ihren Seelenverwandten. Er teilt sowohl ihre Freude am Leben als auch die Liebe zur Musik. Und: Er spricht Träumersprache. Sein Bruder Jeremy hingegen ist das genaue Gegenteil von ihm: Er ist sowohl arbeits- als auch antriebslos, konsumiert Drogen und lebt einfach in den Tag hinein. Schon bald merkt Jana, dass die Brüder ein Geheimnis bergen.

Dank der lebendigen Ich-Erzählerin und der vielschichtigen Zusammensetzung der Charaktere gelingt es Tanya Stewner einen atemberaubenden, aber auch authentischen Roman zu schreiben. Ihr Schreibstil ist melancholisch, träumerisch, ideenreich. Er inspiriert dazu, seinen Gedanken nachzuhängen. Die 388 Seiten sprießen nur so vor Lebensfreude, stecken dazu an, verrückte Dinge zu tun, das Leben zu leben und dabei jeden Moment zu genießen.

Trotz der euphorischen Grundstimmung bespricht die Autorin vor allem ernste Themen wieSuizid, Depressionen und Selbstfindung. All diese Fragen werden mit Zitaten aus Musik und Literatur unterstrichen. Schließlich erwischt man sich immer wieder selbst dabei, sich zu fragen, ob man mit seinem Leben und der Art es zu führen glücklich ist.

Für mich ist »Das Lied der Träumerin« eines jener Bücher, bei denen ich am liebsten immer wieder »Ja! Genau!« schreien möchte. Mit wunderschönen, nahezu poetischen Worten transportiert Tanya Stewner sehr bedeutsames Gedankengut, mit dem sie direkt das Herz des Lesers erreicht. Es macht sich sofort bemerktbar, dass sie nicht nur 10 Jahre an diesem Roman gearbeitet, sondern auch dass ihr ganzes Herzblut darin steckt. Auf ihrer Website schreibt sie, sie habe ihre eigenen Erfahrungen beinahe ungefiltert in diesem Buch einfließen lassen.

Bücher, die die eigene Sichtweise verändern oder sie um einige Facetten bereichern, hinterlassen beim Leser deutliche Spuren. Aber sind es nicht gerade die, die auch am Schönsten sind? Es passiert selten, dass mich ein Buch auch Wochen nach dem Lesen so sehr beschäftigt wie dieses hier. »Das Lied der Träumerin« bildet eine solide Basis für intensive Diskussionen und ist meiner Meinung nach ein absolut Muss für jeden Menschen, der Träume hat. Vielleicht verändert es nicht gleich ein ganzes Leben, aber mit Sicherheit kann es den Mut dazu geben.