Rezension

Berührend

Ein Stein, der mir Flügel macht
von Regula Meier

Bewertet mit 5 Sternen

„...Manchmal gibt es im Leben Situationen, in denen man nur noch funktioniert und achtgeben muss, dass man nicht untergeht. Dann bleibt keine Zeit für viele Worte...“

 

Schon im Vorwort weiß ich als Leser, worum es geht und wie die Geschichte endet. Es werden also bewusst keine falschen Hoffnungen geweckt. Dort skizziert die Mutter auf zwei Seiten ihr Anliegen.

Marina ist fünf Jahre alt, als bei ihr nach etlichen Fehldiagnosen ein Tumor festgestellt wird. Nun muss alles ganz schnell gehen. Nach einer Operation folgt die erste Chemotherapie. Es ist eine Zeit der Hoffnung, aber auch der Umstellung. Das Familienleben muss neu organisiert werden. Marina hat zwei jüngere Geschwister, die nicht zu kurz kommen sollen.

Das Buch wurde von der Mutter geschrieben. Es ist keine einfache Lektüre, denn natürlich reagiere auch ich als Leser sehr emotional auf die Geschichte.

Die Eltern suchen nach einem Weg, wie sie ihrem Kind beider Bewältigung der Krankheit helfen können. Dabei kreiert die Mutter eine Phantasiegestalt, die Kräuterhexe. Sie soll das Familiengeheimnis bleiben und ihre Existenz ist keinem Außenstehenden bekannt. Sie wohnt im Wald und kommuniziert mit Marina über Briefe. Das Besondere dabei ist, dass durch die Kräuterhexe dem Kind kleine Geschenke gemacht werden, die ihren Krankheitsverlauf und vor allem ihren psychischen Zustand positiv beeinflussen, sei es ein Mut-Duft oder Durststeine, deren Reiben Marina animieren sollen, die nötige Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

Ausführlich wird dargestellt, welch vielfältige kleine Erlebnisse für Marina und ihre Geschwister organisiert werden. Dabei können sich die Eltern auf viele helfende Hände verlassen. Wie wichtig das ist, zeigt das obige Zitat. Die Mutter scheut sich nicht, auch ihre Gefühle und gesundheitlichen Probleme konkret zu benennen. Trotzdem schafft sie es, im entscheidenden Moment für die Kinder da zu sein und Hoffnung auszustrahlen.

Doch dann kommt der Rückfall. Jetzt haben die Eltern wohl die schwerste Entscheidung ihres Lebens zu fällen: Sollen sie Marina eine weitere Chemotherapie mit minimalen Überlebenschancen zumuten oder sollen sie sie mit all ihrer Liebe und Kraft palliativ auf ihrem letzten Weg begleiten. Diese Entscheidung zu kommentieren, verbietet sich für jeden Außenstehenden.

Die Kräuterhexe wird Marina bis zu ihrer letzten Stunde begleiten. Danach hilft sie den Geschwistern noch eine Zeit lang bei der Trauerbewältigung.

Im Buch sind die Briefe der Kräuterhexe, die logischerweise die Mutter geschrieben hat, abgebildet. Sie beeindrucken durch ihre farbenfrohe Gestaltung und die aufbauenden Worte. Immer enthalten sie Empfehlungen für Marina, nie Gebote oder Befehle. Andererseits weisen sie ihr auch neue Wege.

Gleichfalls im Buch enthalten sind Fotos der Familie und einige Zeichnungen von Marina. Die Familie lebt in der Schweiz. Eine Ärztin äußert sich am Ende zu den Möglichkeiten der palliativen Begleitung von Kindern. Deutlich wird auch, dass Kinder mit dem Thema Tod anders umgehen als Erwachsene und manchmal wissen, wann ihre letzte Stunde gekommen ist.

Das Buch kann ein Ratgeber für Eltern sein, die in ähnliche Lage sind. Es gibt Anregung, zeigt am eigenen Erleben, was möglich ist, schreibt aber nichts vor. Letztendlich ist es ein Buch unendlicher Liebe, die gibt, begleitet und loslässt, wenn es nötig ist.