Rezension

Berührend und erschreckend aktuell

Sommer unter schwarzen Flügeln
von Peer Martin

Bewertet mit 5 Sternen

Nuri und Calvin sind 17 Jahre alt und leben im selben Viertel in einer ostdeutschen Küstenstadt. Das ist aber zunächst auch das Einzige, was die beiden Jugendlichen gemeinsam haben. Calvin ist Mitglied in einer rechten Jugendgang, die von einem rein deutschen Deutschland träumt und alle Ausländer hasst. Besonders richtet sich der Hass gegen das Flüchtlingsheim in ihrem Viertel. In diesem Heim lebt Nuri mit ihrer Familie, die aus ihrer Heimat Syrien vor dem dort schwelenden Konflikt geflohen sind.

Bei ihrer ersten Begegnung kommt es zu einem Zwischenfall, durch den sie in Kontakt kommen. Nuri beginnt, dem ihr unbekannten Jungen ihre Geschichte zu erzählen. Obwohl Calvin sie wie alle Ausländer hassen möchte, wird er von Nuri und ihrer Geschichte angezogen. Er bekommt Zweifel an seinen Ansichten und möchte aus seiner Gang aussteigen. Doch das ist gar nicht so einfach.

Das Buch ist leider so aktuell wie nie zuvor. In Syrien besteht der Konflikt nun seit 4 Jahren. In Deutschland geht die Pegida mit ihren Ablegern regelmäßig auf die Barrikaden. Die Diskussion über die Flüchtlinge, gerade aus den aktuellen Krisengebieten, flammt immer wieder auf. Gefühlt weiß jeder, was sich in Syrien tut, und jeder hat irgendwelche Ansichten über die rechte Szene.

Und dann liest man dieses Buch. Eine Liebesgeschichte. Eine Geschichte über zwei junge Menschen, deren Ausgangsstellung überhaupt nicht darauf ausgelegt ist, dass sie überhaupt ins Gespräch kommen. Doch sie kommen ins Gespräch. Und nehme den Leser mit in ihre Welten.

Mit Calvin tritt man in die rechte Szene ein. Man erfährt, welche Ansichten dort vertreten werden. Man spürt, weshalb diese Menschen für bestimmte Ansichten so empfänglich sind. Man kann sogar in gewisser W.eise verstehen, warum diese Menschen so denken.

Und dann nimmt Nuri einen mit nach Syrien. Nicht in das Syrien, dass man aus den Medien kennt. In das persönliche Syrien eines Menschen, der sein Land liebt. Ein Syrien, in dem man seine Freunde verliert. Ein Syrien, in dem Familienmitglieder angegriffen werden. Ein Syrien, in dem man Tod und Folter mit eigenen Augen sieht. Ein Syrien, in dem eine Familie trotz seiner Liebe zum Land keinen anderen Ausweg sieht, als dieses Land zu verlassen. Und in dem man versucht, in den unglaublich bedrückenden Verhältnissen und trotz aller Schatten aus der Vergangenheit, ein wenig von dem guten Syrien zu erhalten.

Das Buch ist unglaublich gut geschrieben. Ein Einstieg mitten ins Geschehen, ohne überflüssige Worte als Einleitung. Die Wortwahl ist so gut gelungen, dass man direkt in das Geschehen hineingezogen wird. Man liest das Buch nicht mehr, man ist in dem Buch. Nuris Erzählungen bringen einen direkt nach Syrien. Calvin nimmt einen mit in die rechte Gang. Man sitzt dabei, man hört die Gespräche, man riecht die Gerüche, sieht die gleichen Bilder wie die Protagonisten. Ich habe es selten erlebt, dass ein Buch mit so in das Geschehen hinein gezogen hat. Und mich so schlecht wieder aus dem Geschehen hinaus gelassen hat. Die Geschichte ist so intensiv, dass man sie mit in den Alltag nimmt. Und das ist bei der Thematik wohl gar nicht verkehrt.

Man merkt, dass Autor Peer Martin sich sehr intensiv recherchiert hat. Auf allen Seiten. Es gibt keine schwarz-weiß Denken. Es werden keine Vorurteile auf einer der beiden Seiten geschürt. Es wird auch keine Seite in einem besonders guten Licht dargestellt. Das Buch ist einfach authentisch. Die vorkommenden Charaktere sind keine Prototypen, sie sind Menschen. Und kein Mensch ist nur schwarz oder weiß. Das zeigt das Buch sehr deutlich.

Sehr gut fand ich auch, dass jedes Kapitel von Zitaten eingeleitet wurde, die immer gut zu der Entwicklung der Geschichte passten. Außerdem hat jedes Kapitel am Ende Vorschläge für Begriffe, die man für weitere und tiefer gehende Informationen zu den Inhalten der Kapitel nutzen kann. Die Homepage zum Buch http://www.unter-schwarzen-fluegeln.com/news/ enthält weitere Informationen zu den im Buch behandelten Themen.

Dieses Buch ist für Leser ab 16 Jahren empfohlen. Dem schließe ich mich an. Allerdings würde ich es dann auch jedem ab 16 dringend empfehlen. Dieses Buch würde ich einigen Menschen gerne intravenös verabreichen, damit sie endlich anfangen, zu verstehen und selber zu denken, und nicht nur sagen, was sie irgendwo, oft aus dem Zusammenhang gerissen, gehört haben. Auch für Jugendarbeit und Schule würde ich das Buch durchaus empfehlen.