Rezension

berührende Geschichte - etwas überfrachtet

Die Vergessenen - Ellen Sandberg

Die Vergessenen
von Ellen Sandberg

Bewertet mit 3.5 Sternen

Das Leben hat einen Rückspiegel, und in dem sieht man immer die Eltern.

Vera Mändler und Manolis Lefterig - 2 Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Sie, unterforderte Journalistin eines Frauenmagazins mit gefühlskalter Mutter - Er, Sohn eines griechischen Gastarbeiters, der die Gräueltaten seiner Kindheit -das Massaker an seiner Familie- schon sehr früh an den Jungen weitergibt. Mittlerweile betreibt Manolis ein Autohaus, nebenbei aber ist er immer noch der Mann für alle Fälle, der auch vor Auftragsmord nicht zurückschreckt.

Beide sind auf der Suche nach verschwundenen Patientenakten der Heil- und Pflegeanstalt Winkelberg aus der Nazizeit.
Denn als Veras Tante nach einem Schlaganfall im Koma liegt, stösst sie auf ein langgehütetes Geheimnis. Was keiner aus der Familie weiss, Kathrin hat 1944 in der Winkelberg-Klinik gearbeitet. Hat sie etwas mit den damaligen Euthanasie-Morden zu tun? Sie muss doch damals auf jeden Fall etwas davon mitbekommen haben. Warum hat sie ihr ganzes Leben lang geschwiegen....

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Ich habe mich sehr auf diesen Roman gefreut, da mich die Thematik der Euthanasie in den Heil- und Pflegeanstalten im Dritten Reich sehr interessiert und berührt. Das hat dieses Buch zwar geschafft, es lässt mich dennoch ziemlich zwiegespalten zurück.

Ellen Sandberg ist das Pseudonym einer recht erfolgreichen Krimiautorin. Mit "Die Vergessenen" hat sie sich an eine Familiengeschichte oder besser gesagt: zwei, herangewagt und grade da hat der Roman für mich kleine Schwächen.

Ich glaube, allein die Geschichte um Kathrin und den Arzt Landmann im Romanformat, 250-300 Seiten stark, hätte mich umgehauen und emotional mitgerissen. Man spürt, dass die Autorin sich tiefgreifend mit dem Thema auseinandergesetzt hat und sowohl die Möglichkeiten die jeder damals hatte, die Abwägungen und Gefahren, das mit sich selber ausmachen, was man bereit ist zu riskieren.... sehr glaubhaft rüberbringt.
Die Charaktere wirken lebensecht, greifbar und glaubwürdig.
 
Zwischenfazit: Die Kerngeschichte ist großartig und lässt mich tiefbewegt zurück.

Probleme hatte ich allerdings mit der etwas bemühten Geschichte drumherum. Das war mir manchmal zu langatmig und einfach too much. Denn mal ganz ehrlich, die schrecklichen Geschehnisse der Vergangenheit und wie weit sie noch in die heutige Zeit reichen, sprechen und wirken für sich, da benötige ich nicht wirklich noch die Familientragödie eines "Assassinen" oder den kleinkriminellen Cousin der Journalistin. Das hat das Ganze etwas überfrachtet und ich fand die ersten 150 Seiten unglaublich zäh.

Hinzu kam, dass mich auch die beiden Hauptfiguren nicht so richtig für sich einnehmen konnten. Sie waren mir weder sympathisch noch unsympathisch, aber ich hatte selten ein klares Bild von ihnen vor Augen. Sie blieben relativ flach. Was sehr schade war, denn die Geschichte von Manolis Vater ist erschütternd und hat viel Potential, nur die Emotionen konnten mich hier über Manolis gespiegelt, nicht so erreichen.

Fazit: Ein Roman mit einer großartigen Kerngeschichte über Schuld, Mitschuld, Rache, Verdrängung und das Vergessen. Eine Geschichte, die berührt und unter die Haut geht. Eingerahmt von einer, für mich persönlich, etwas zu überladenen Rahmenhandlung. Dennoch: lesenswert!