Rezension

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Bilderbogen des Neunzehnten Jahrhunderts

Die Ärztin: Das Licht der Welt - Helene Sommerfeld

Die Ärztin: Das Licht der Welt
von Helene Sommerfeld

 

„Die Ärztin“ ist ein Bildungs -, ein „Coming of Age“ Roman. Das Aufwachsen und der Lebensweg von Dr. Ricarda Petersen breitet sich vor uns aus im Wilhelminischen Kaiserreich mit Schwerpunkt Berlin und  Mark Brandenburg- Dort wächst sie auf als Tochter des Gärtners Gustav und der Köchin Carla, die beide den Grafen Freystetten dienen.  Das Autorenteam Helene Sommerfeld hat sehr gut recherchiert und eine lesenswerte Geschichte um viele  Fakten der Zeit des 19. Jahrhunderts gehäkelt. Es war die die Gründerzeit, Aufbruch lag in der Luft, seit 1835 fuhren Eisenbahnen, 1871 wurde  der Krieg gegen Frankreich gewonnen. 1876 befand Preußen sich im Aufwind, mit Fürst Bismarck als Kanzler. Frauen, die ein besseres Leben für sich und ihre Genossinnen erstreiten wollten,  angeführt von herausragenden Persönlichkeiten wie Helene Lange, Minna Cauer, Hope Adams und anderen,  trafen sich in Berlin. Henriette von Freystetten, eine der ersten Ärztinnen in Berlin, nimmt Ricarda als Mündel zu sich.  Die Komtess hält Salons und ist hochbegehrt in den „gehobenen Kreisen“, deren Frauen sich teure Behandlungen leisten können. Die arme Bevölkerung, die Arbeiter,  die Hausangestellten, können das nicht. Ricarda hat das Glück,  eine gute Schulbildung zu erhalten, wo sie, die vom Dorf kommt,  sich im Kreis der „höheren Töchter“ ihren Platz erobern muss und schließlich Freundinnen findet. Sie ist hochintelligent und beobachtet kritisch.  Sie darf Henriette manchmal assistieren und diese erkennt ihre Begabung.   Allmählich formt sich der Traum: selber Ärztin zu werden. Den Abgrund zwischen den Klassen arbeiten die Autoren Helene Sommerfeld sehr gut heraus. Sie haben starke Charaktere erfunden, die ein Zeitbild erschaffen, das wir erleben, als ob wir im Museum  von Diorama zu Diorama gehen. Jeder der Charaktere steht für bestimmte Werte der Zeit und fügt sich in die Handlung. Diese treiben die Autoren rasant voran, ein Spannungsbogen folgt dem anderen, geschichtliche Hintergründe wie beginnende Kolonialzeit Deutschlands, Völkerschauen, Forschung in der Medizin, opulente Feste der Herrschenden – alles in einer bildreichen Sprache, die ich als gehobene Unterhaltung beschreiben würde. Literarische Anklänge lesen wir verschiedentlich, jedoch würde ich das Narrativ als  typisches „storytelling“ bezeichnen. Die Dialoge erlebe ich teilweise als steif und gedrechselt, wohl der Zeit geschuldet, besonders in der Liebesbeziehung von Ricarda und Studiosus Siegfried, dessen Name an den deutschen Nationalhelden Siegfried erinnert. Ricardas ganzes Sinnen und Streben ist es, selber Ärztin zu werden,  dafür nimmt sie jedes Opfer auf sich. Sie muss sehr viel durchmachen und wird bis an die Grenzen ihrer Kräfte gefordert, physisch und emotional. Diese Saga erschließt uns eine schwierige Epoche in der deutschen Geschichte,  die es leichter macht, sie zu verstehen und dazu anregt, weiter zu recherchieren und Hintergründe zu entdecken, die hier angerissen werden. Eine Fortsetzung wird im November 2018 erwartet.

 

Gerwine Ogbuagu