Rezension

✎ Brigitte Biermann - Engel haben keinen Hunger

Engel haben keinen Hunger - Brigitte Biermann

Engel haben keinen Hunger
von Brigitte Biermann

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll..

Schon viele Lektüren über dieses Thema begleiten meinen Leseweg. Ich habe auch schon wirklich Heftiges, Unvorstellbares, Unverständliches gelesen.
..und trotzdem trifft mich dieses Buch wie kaum ein anderes.

Gefühle jedweder Art überschlugen sich beim Lesen.
Geben wir Katrin die Schuld? Den Eltern? Den Ärzten? Den Mitschülern? Der Umwelt? ...? Hat überhaupt jemand Schuld?

"»Können wir etwas ändern? Machen wir was falsch? Sind wir schuld? Und wenn wir Schuld haben an Katrins Krankheit - worin, um Gottes willen, besteht die?«" (S. 158)

Teilweise habe ich wie in Trance gelesen. Ich wollte nicht glauben, was das Mädchen sich und auch den anderen antut. Ich wollte nicht glauben, wie hilflos die Eltern sind. Ich wollte nicht glauben, dass die Ärzte wirklich so machtlos sind.

"»[...] dabei geht es keinen Schritt vorwärts.« »Wie denn auch - sie wird entmündigt von Leuten, die selber ratlos im Trüben fischen« [...]" (S. 158)

Bis zum Schluss konnte / wollte / durfte ich nicht glauben, was der Klappentext und der Titel suggerieren. Es geht selbst bei der jungen Frau immer hin und her.

"»Ich will ja gar nicht mehr leben, es kotzt mich alles so an! Wozu bin ich denn überhaupt noch auf der Welt?«" (S. 140)

"»Das schlimmste Frühstück bisher - unglaublich viel Quark, mindestens hundert Gramm, dazu vier Löffel Marmelade - [...]«" (S. 154)

"»Yupieh! Kein Fresubin mehr, ich darf jede Mahlzeit mitessen!«" (S. 154)

Es tut mir leid, aber auch jetzt weiß ich noch immer nicht meine Gedanken ordentlich in Worte zu fassen.. Dieses Buch wird mich noch sehr lange begleiten - da glaube ich fest dran. Ich hoffe nur, dass es auch vielleicht einige da draußen erreicht (hat)..

Für mich ist es die perfekte Schullektüre. Zwar ist der Schreibstil Brigitte Biermanns hier sehr, sehr holprig, aber die Geschichte um Katrin L. dafür umso wichtiger. Ich bin tief erschüttert..

Jeder, einfach wirklich jeder sollte sich mal Gedanken machen:

"Gefühle, Ängste, Sorgen
bleiben hinter der Fassade verborgen,
der äußere Schein ist gewahrt.
Ist es die Angst,
ein Versager, ein Schwächling zu sein,
wenn man ist, wie man eben ist?
Ist das Leben etwa ein Theater,
wo jeder seine Rolle spielt - zu spielen hat,
wo das wahre Ich im Hintergrund verschwindet?
Cool sein, stark sein, nicht aus der Rolle fallen,
denn The show must go on.
Aber muss sie das wirklich?" (S. 126)

©2017

Zitate:

"»Eine Mutter muss doch ein Maß kennen und das Selbstbewusstsein ihres Kindes stärken - oder?«" (S. 18)

"»Ich war derart wütend, wenn ich sah, wie sie an ihrem Apfel rumknautschte, [...]«" (S. 18)

"»Katrin wirkt zwar stark, ist temperamentvoll und durchsetzungsfähig, aber dieses äußere Bild stimmt nicht mit dem überein, was innerlich in ihr vorgeht. Das sieht nur niemand.«" (S. 23)

"»Ihr sied immer bei mir und doch fühle ich mich oft so schrecklich allein.«" (S. 124)

"»Warum hast du das gemacht? Weißt du nicht, was du uns damit antust?«" (S. 156)

"Es ist unglaublich schwer, jemanden zu mögen, der sich selbst nicht liebt." (S. 177)

"»Und was sagt die Stimme?« »Dass ich es nicht wert bin, zu essen. Dass ich faul und hässlich bin und deshalb nicht verdiene, etwas Schönes zu tun oder zu essen. [...]«" (S. 187)

"Starrt mich doch nicht so an, dachte sie, ich bin doch auch ein Mensch, verdammt noch mal!" (S. 191)

"»Stell dir nur mal vor, Anna, in Afrika verhungern Millionen, weil sie nichts zu essen haben, und bei uns verhungern die Einwohner von drei Großstädten vor vollen Kühlschränken [...] Was ist das nur für eine teuflische Krankheit.«" (S. 196)

"Wenn du gestern schon gebangt hast,
das Heute nicht gut zu überstehen,
dann lebst du auch heute nicht mehr,
weil du schon um morgen fürchtest.

Ich hab solche Angst zu sterben.
Aber damit verhindere ich nicht
meinen Tod -
sondern behindere
mein Leben." (S. 218)