Rezension

Brisantes Thema, kraftvoll, intensiv geschrieben, aber *ansich nur 3,5 Sterne"

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

Bewertet mit 4 Sternen

Ein ganz normaler Tag, immer wieder gleich, für den einen beruflich, für den anderen der immer wiederkehrende Familienalltag, oder auch der Schulalltag.
Unser Tagesrhythmus verläuft fast immer in stets gleichbleibenden Bahnen, wie ein Schwimmer, auf und ab.
Doch dann passiert etwas Schreckliches, Unvorhersehbares, was das Leben, den täglichen Ablauf, verändert – Menschen wie du und ich – aus ihrer Bahn geworfen werden und danach nicht mehr die sind, die sie vorher waren.
Der Tag, an dem das passierte, war für die fünfzehnjährige Miriam ein ganz normaler Schultag. Es war gerade Pause und alle strömten hinunter zum Schulhof. Doch was dann geschah, unfassbar, geschockt, waren das wirklich Schüsse, die sie gerade gehört hatte? Bumm ...
Fluchtartig rennen die Schüler, Lehrer los, der Gedanke an das, was hier gerade passiert, nein, dass kennt man doch nur aus dem Fernsehen. Mit Joanne und Philipp versteckt sich Miriam auf dem Jungensklo.
Die Gedanken laufen Marathon in ihrem Kopf.
Dass was gerade dort im Gebäude sich abspielt, schwer zu begreifen. Ein Schuss, ein Schrei, und dann die Schritte.
Bin ich feige, nein ich will mich nur retten.
Ich, Miriam, will leben.
Ich bin noch nicht bereit.
Die Konfrontation mit dem jungen Amokläufer. Miriam kennt ihn, den Jungen aus der 9c, Mathias aus der Parallelklasse.
Warum hat er Tobi angeschossen, ihre erste junge Liebe? Millisekunden vergehen, verstehen, nein nicht wirklich. Und er hört nicht auf zu schießen, es ist wie eine Hasenjagd, die Mathias veranstaltet.
Hasenjagd – Menschenjagd – Amoklauf – an unserer Schule. Tote, ausgelöscht, einfach so.

Was aber war der Auslöser für die Tat? Hat Mathias ganz bewusst und bei klarem Verstand so gehandelt? War es Absicht, dass er ausgerechnet Tobi, Miriams Freund, tötete?
Man muss sich in die Charaktere hineinversetzen, es versuchen, um zu ergründen, warum jede von ihnen auf ihre Art so handelt.

Nach der Tat mit ihrer Angst flüchtet sich Miriam in eine andere Welt, abgeschottet für andere – innerlich die Hoffnung, dass es kein realistischer Albtraum war. Alles in ihr war gestorben, kraftlos. Sie bewegt sich nur noch wie eine Marionette. Reagiert unverständlich für ihren Vater, lässt die Mutter kaum an sich heran. Ihre Mutter, die sie verlassen hatte und nun auf einmal wieder da ist, mit aller Fürsorge, die Miriam in den vergangenen Jahren gebraucht hätte. Nähe lässt sie kaum zu, nur die Großeltern. Unbewusst spürt sie die Liebe. Alles wird gut, nein, nichts als Lüge.

Doch wie entflieht man diesem Sog, ins Bodenlose zu stürzen und der Drang, die Hoffnung, es möge niemand sie auffangen bei der Landung, ist enorm. Es gibt sehr viele Methoden, doch mit der Angst zu leben, und sie letztendlich zu lieben, ist ein Schritt in die Zukunft.
Vergessen kann man nicht.
Wir werden geboren um zu leben. Das Wort „Leben“ verliert in solchen Momenten seinen Wert.

Entstanden aus einem Albtraum hat die junge Autorin mit dem Buch „Es wird keine Helden geben“ eine fiktive Geschichte geschrieben, die den Leser mit einer derartigen Wucht trifft und sprachlos zurücklässt. Sprachlich herausragend, berührend und fesselnd, das Wort spannend ist bei der Thematik Amoklauf unpassend, ihre Worte werden lebendig und der Leser ist mittendrin in all dem Geschehen, in der Gedankenwelt. Das Denken und Handeln der Jugendlichen sowie auch der Erwachsenen ist fast glaubwürdig geschrieben.
Doch ein Aber gibt es: Auch wenn ich kaum so ein derart kraftvolles, intensives Buch in den letzten Jahren gelesen habe, befand ich mich sehr oft im Zwiespalt. Es gab etliche Stellen, die ich überflogen habe, u. a. weil der Text mich nicht erreichte. Manches wirkte mir zu aufgesetzt, bzw. zu erwachsen. Inwiefern hier die Handschrift der Lektorin wiederzufinden ist, vermag ich nicht zu sagen.
Falls jemand bei meiner Rezension mehr vom Inhalt erwartet hat, wird vergeblich danach suchen. Der Gedanke, als Mutter meiner Mädchen zu deren Schulzeit mit einer solchen Situation konfrontiert zu werden, warf viele Fragen bei mir auf.
Es ist nicht nur die fiktive Geschichte, sondern das Ganze zu sehen und bietet enormen Gesprächsstoff zu Themen, die diskutiert werden müssen/sollten!
Kann man das Leben noch einmal drehen?
Solch ein Amoklauf kann überall immer wieder passieren – in der Realität!
"Es wird keine Helden geben", das Manuskript hat die junge Autorin mit 16 Jahren geschrieben - wahrlich ein sehr gewagtes Thema für ein Debütroman.