Rezension

Cover und Klappentext etwas irreführend - nicht unbedingt eine leichte, aber sehr gut erzählte Geschichte

Das Glück hat vier Farben - Lisa Moore

Das Glück hat vier Farben
von Lisa Moore

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die 16jährige Flannery ist in ihren Sandkastenfreund Tyrone verliebt. Der aber steckt in einer schwierigen Lebensphase, schwänzt die Schule, treibt sich herum. Als Flannery bei einem Schulprojekt Tyrone als Partner zugeteilt bekommt, hofft sie ihrem Schwarm endlich näher zu kommen. Besser könnte die Gelegenheit gar nicht sein. Denn ihr Projekt sieht die Herstellung von Liebestränken vor. Aber Flannery weiß eigentlich schon lange, dass das Leben weder immer berechenbar noch fair ist. Alles verändert sich, wird komplizierter, nicht immer schöner und es stellt sich die Frage, worauf man sich letztlich verlassen kann.

Zu "Das Glück hat vier Farben" von Lisa Moore gab es einige enttäuschte Stimmen, deshalb eines kurz vorweg: Cover und Klappentext sind hinsichtlich dessen, was den Leser erwartet, nicht ganz eindeutig. Der Part mit den Liebestränken lässt eine leichte Liebesgeschichte vermuten, wird aber konkret erst gegen Ende aufgegriffen. Das Buch hat eine sozialtragische Komponente und behandelt sehr eindringlich die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens. Es ist aber defintiv keines dieser Bücher, die den Leser gefühlsmäßig durch den Fleischwolf drehen, um ihn hinterher als emotionales Wrack wieder auszuspucken. Es ist stellenweise ergreifend, gleichzeitig zart und poetisch. Mit dem leisen Witz einer Protagonistin, deren Stimme verletzlich, aber vertraueneinflössend ist und die den Leser mit ihrer Ausdrucksstärke durch viele herzzerreißende Passagen immer wieder zurück in die Leichtigkeit führt. Ich bin von diesem Buch absolut hingerissen!

Mittels kleinerer Episoden, teils in Form von Flannerys Erinnerungen, lernt man nach und nach die Charaktere kennen, die in Flannerys Leben eine Rolle spielen. Da ist Flannerys Mutter Miranda, die in finanziellen Dingen völlig weltfremd ist und ihre ganze Energie in Kunstprojekte und einen Erziehungsblog steckt. Amber, Flannerys beste Freundin, die an einen gewalttätigen, kontrollsüchtigen Freund gerät. Tyrone, der Graffitisprayer, der immer nur kurz auf- und sofort wieder untertaucht. Und Flannery selbst, die sich nach einem Vater sehnt, den sie nie kennengelernt hat und die darunter leidet, ihre Mutter immer wieder an einfachste Verpflichtungen erinnern zu müssen, etwa die Begleichung der Stromrechnung.

Die Figuren wirken teilweise leicht verschroben, wie die Besetzung eines schrägen Independentfilms. Manche belächelt man, andere hasst man. Über viele ärgert man sich, für einige entwickelt man mit der Zeit Verständnis. Eine Figur aber muss man einfach lieben: Flannery, die felsenfest zu den Menschen steht, die sie ins Herz geschlossen hat, die aber im Laufe der Handlung einige Enttäuschungen einstecken muss. Man wünscht ihr wirklich von ganzem Herzen ihr persönliches Happy-End und fürchtet gleichzeitig, dass es ausbleiben könnte.

Denn seitenweise ist da dieser konstant-lockere, vertrauensvolle Ton. Dann schlägt die Handlung überraschend um, hält für den Leser ein ernüchterndes, trauriges Erlebnis parat, lässt ihn im nächsten Moment mit einer leichten, amüsanten Passage wieder zur Ruhe kommen. Manchmal habe ich erschrocken die Luft angehalten, kurz darauf erleichtert aufgeatmet. Die Handlung erfordert vom Leser die Bereitschaft, emotional umschalten und sich stellenweise neu in die Erzählung einfinden zu können. Mir ist das nicht immer leicht gefallen, gleichzeitig war ich vom Rhythmus des Buches sehr fasziniert.

Die Komplexität des Ganzen lässt sich anfangs nicht erahnen und es ist absolut genial, wie die Autorin in diesem federleichten klaren Stil nach und nach ein Netz um den Leser spinnt und eine vollständige Geschichte heranreifen lässt. Dabei wäre sie allerdings - und das ist meine einzige Kritik - stellenweise auch ohne drastische Zuspitzung ausgekommen, da sie mit ihren leisen Tönen vollkommen überzeugt.

Ich hätte das Buch fast nicht gelesen, weil ich mich auch nach drei Anläufen (jeweils zehn gelesene Seiten!) nicht mit dem Schreibstil anfreunden konnte. Er ist ungewöhnlich. Sehr reduziert, viele kurze Hauptsätze, die teilweise in langen Satzkonstrukten aneinandergereiht werden. Dann habe ich das Buch wieder zur Hand genommen, mit dem festen Vorsatz wenigstens drei Kapitel zu bewältigen und dann endgültig zu entscheiden, ob ich es lesen möchte oder nicht. Aus drei Kapiteln ist innerhalb von 24 Stunden das ganze Buch geworden. Irgendwann hat es mich gepackt, auch der originelle Stil, den man mit der Zeit völlig vergisst. Am Ende hätte ich noch ewig weiterlesen können.

Fazit: "Das Glück hat vier Farben" von Lisa Moore ist ein Buch, das einfach und geradlinig beginnt, sich aber mit jeder Seite weiter öffnet und entfaltet und mich - nachdem ich mich eingelesen hatte - völlig in seinen Bann geschlagen hat. Kleine Episoden laufen zu einem komplexen Gesamtbild zusammen, das im Leser unterschiedlichste Emotionen weckt. Die Geschichte von Protagonistin Flannery rührt zu Herzen, lässt vielleicht sogar ein paar Tränen fließen und leise lächeln. Für mich ein absolut überraschendes kleinesfeines Buch, das ich jedem ans Herz legen möchte, der einfühlsam und originell erzählte Geschichten liebt.