Rezension

Das auserwählte Kind

Kalte Seele, dunkles Herz - Wendy Walker

Kalte Seele, dunkles Herz
von Wendy Walker

Bewertet mit 5 Sternen

Achtung Erwartungshaltung: Genre ist am ehesten Psychothriller/Psycho-Duell/Psychodrama – eher subtil und unblutig und ohne Ekel-Szenen (KEIN Nachfolgebuch für Cody McFaddyen – oder gerade…hingegen durchaus ein Nachfolgebuch, wenn man die psychologischen Komponenten an Dania Dickens Büchern schätzt). Der Originaltitel ist "Emma in the Night" - warum auch immer man so einen schwachen nichtssagenden deutschen Titel gewählt hat mit einem "Nichts" als Cover.

Cass: „Ich bin zurückgekommen, um meine Schwester zu finden, und die Zeit war nicht auf meiner Seite.“ S. 229  Cassandra „Cass“ Tanner war 15, als sie vor drei Jahren spurlos verschwand. Jetzt steht sie vor der Tür ihrer Mutter und ihres Stiefvaters.
Doch sie verschwand nicht allein: wo ist ihre zwei Jahre ältere Schwester Emma, die gleichzeitig verschwand? Damals gehörte die forensische Psychologin vom FBI Dr. Abigail „Abby“ Winter zum Ermittlungsteam. Sie hatte einen Verdacht, doch niemand wollte in dieser Richtung ermitteln.

Da ja Schlaf überschätzt wird…war das hier wieder ein Buch, dass ich in einem Rutsch und bis in den frühen Morgen verschlungen habe, als erhofftes „Belohnungsbuch“ nach einem enttäuschenden Buch davor. Früh führt Autorin Wendy Walker den Begriff des Narzissmus ein, bereits im Vorwort, so dass ich das hier ohne zu spoilern erwähnen kann. Die Kapitel sind entweder geschrieben aus der Ich-Perspektive von Cass oder von Abby, die Cass befragt, und rollen sowohl die Geschichte des Verschindens auf als auch die Kindheit von Cass und Emma, die geprägt war von einer manipulativen Mutter. Deren Stimmungsschwankungen waren die Töchter ausgesetzt, jeden Morgen neu: „Es war, als versuchte man, sich zu überlegen, was man anziehen soll, ohne zu wissen, welche Jahreszeit herrscht, Sommer oder Winter.“ p 15

Das Buch diskutiert nicht nur Schuld und Verantwortung, sondern auch, inwieweit Teenager aus bestimmten Familienverhältnissen zugänglicher für bestimmte Formen der Manipulation sind. Waren Cass und Emma ideale Opfer? Und wie zuverlässig ist Abby bei diesem Fall aufgrund ihrer persönlichen Vergangenheit?

Walker beleuchtet ausgiebig  psychologische Hintergründe – wie bereits in „Nichts ist je vergessen“, wenn auch in geringerem Ausmaß. Mir gefielen beide Bücher, ich erinnere mich aber daran, dass die Leser das ältere Buch entweder liebten oder hassten, weil es ihnen a) zu faktenlastig und b) zu „un-Thriller-ig“ war – mir hingegen sagte beide Male gerade der subtile Horror zu, wobei ich dieses neuere Werk ausgereifter finde, mit Sätzen, die mich schaudern ließen wie 

„Hunter wollte Emma nicht besiegen, denn ein Sieg hätte bedeutet, dass der Krieg vorüber gewesen wäre. Und Hunter wollte nicht, dass irgendetwas mit Emma jemals vorüber war.“ S. 150

oder

„Als Emma ungefähr dreizehn war, hatte uns unsere Mutter erklärt, wie man durch Sex Macht bekam.“ S. 258

 

5 Sterne

 

Buch nach dem Buch: Die Geliebte des französischen Leutnants
Musik zum Buch: Adele. Die Lieblingsmusik von Emma.

Wendy Walkers erster Thriller, der die Leser deutlicher spaltete – ich fand ihn toll. Achtung, heftiger, was sexuelle Gewalt angeht (Polizeiberichte)