Rezension

Das Buch hat mich begeistert

Die Blütentöchter - Joël Tan

Die Blütentöchter
von Joël Tan

Bewertet mit 5 Sternen

„...Das schlechte Wetter verlangte den aufgeweichten Boden derzeit mindestens ebenso viel ab wie den Gemütern der Heilbronner. Und eines war gewiss: Sollte nicht bald die Sonne scheinen, würde man Eilika, Clementia und Imagina auch dafür die Schuld geben...“

 

Wir schreiben das Jahr des Herrn 1333. In Heilbronn ist der Richter Volmar Laemmlin Vater von Drillingen. Er hofft, die Mädchen bald gut verheiraten zu können, denn viele Heilbronner beäugen sie ziemlich argwöhnisch. Doch ausgerechnet zum jährlichen Jahrmarkt erscheint der Bußprediger Alardus und verkündet, dass von den Mädchen Unheil ausgehen wird. Obiges Zitat stammt von Luitgardes, der Mutter. Sie ahnt nicht, dass der Regen zu einem Hochwasser führen wird und ab dem Moment ihre Töchter in Lebensgefahr sind.

Die Autorin hat einen fesselnden historischen Roman geschrieben.

Die Protagonisten werden gut charakterisiert. Der Liebe von Luitgardis zu ihren Töchtern steht der Egoismus des Vaters gegenüber. Ihm geht es nur um seine Reputation. Die Töchter stören dabei.

Die drei Mädchen sind 16 Jahre alt. Eilika gilt als wild und freiheitsliebend. Die Beschränkungen, die ihr vom Vater auferlegt, kann sie nur schwer ertragen. Clementia ist fröhlich, Imagina meist still und zurückhaltend.

Der Schreibstil des Buches ist abwechslungsreich und ausgereift. Er lässt sich zügig lesen und unterstützt den extrem hohen Spannungsbogen. Doch es gibt auch ruhige Szenen. Eilika verlässt heimlich für wenige Stunden die Stadt. Ihr Empfinden drückt das folgende Zitat aus:

 

„...Der nasse Boden, die vielen Wildkräuter und das Laub der Bäume gaben zusammen einen betörenden Duft ab, den man in der Stadt nicht wahrnahm. Tief atmete sie durch. Es war ihr, als löste sich nach und nach ein festes Seil, das mehrfach um ihre Brust geschlungen war...“

 

Es zeigt auch, dass die Autorin den Umgang mit passenden Metaphern ausgezeichnet beherrscht. Gleichzeitig werden in die Geschichte die historischen Gegebenheiten eingebettet. Vor allem die Streitigkeiten zwischen den Stadtherren und der Geistlichkeit, aber auch dem Adel, rufen den Kaiser auf den Plan. Sehr gut hat mir gefallen, dass sein Urteil im damaligen Deutsch eingefügt wurde. Das gibt dem Buch unter anderem seine Authentizität und zeugt von exakter und umfangreicher Recherche der Autorin.

Letzteres beweist sich ebenfalls im Gerichtsprozess. Hier werden alle Möglichkeiten genutzt, um die Spannung auf die Spitze zu treiben. Fehler auf Fehler sorgen für ein stetig neues Urteil, bevor die Entscheidung fällt.

Während der Handlung wird deutlich, dass Luitgardis ihren Töchtern Kraft und Lebensmut mitgegeben hat. Sie finden selbst in schwierigen Situationen einen Ausweg und geben nicht auf, solange nur eine geringe Chance besteht. Allerdings können sie nicht ahnen, dass ihre besondere handwerkliche Gabe sie in Gefahr bringen könnte.

In der Handlug wird deutlich, wie es ein geschickter Redner vermag, Menschen zu manipulieren und für sich einzunehmen. Dabei fragt kaum einer mehr nach Recht und Wahrheit. Niedrige Instinkte wie Neid und Ablehnung werden bedient. Dem gegenüber stehen Werte wie Freundschaft und Einsatzbereitschaft. Auch Rache ist ein starkes Motiv, um anderen zu schaden.

Immer wieder lässt mich die Autorin an den Emotionen der Protagonisten teilnehmen. Einen schwierigen Part hat Katharina. In einer Sekunde der Trauer entwickelt sie unbändigen Hass und lädt große Schuld auf sich. Das folgende Zitat zeigt ihre tiefe Reue.

 

„...Noch immer hielt sie das Kleid mit den Kirschflecken in beiden Händen. Jetzt presste sie es an ihr Herz. Sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten, sosehr sie sich auch dagegen wehrte. Hatte sie nicht jedes Recht verwirkt zu weinen?...“

 

Während andere über sich hinaus wachsen, erweist sich Volmar als feige. Statt sich hinter seine Töchter zu stellen, häuft er zuerst Lüge auf Lüge und bringt sich dann in Sicherheit.

Es sind viele Kleinigkeiten, die das Buch zu etwas Besonderen machen, sei es die Beschreibung des Lebens im Tross des Kaisers, die Darstellung der Arbeit mit den Leprakranken oder die Wiedergabe des Lebens in verschiedenen Berufen.

Ein ausführliches Personenverzeichnis zu Beginn, ein inhaltsreiches Nachwort, was Realität und Fiktion trennt, sowie ein Glossar vervollständigen das Buch.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es gehört zu den bisherigen Highlights dieses Jahres.