Rezension

Das Leben loslassen

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster - Susann Pásztor

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
von Susann Pásztor

Bewertet mit 5 Sternen

Susann Pásztor nimmt sich in ihrem Roman eines existentiellen Themas an. Es geht ums Sterben und darum, wie es erlebt wird von der Sterbenden und von denen, die sie bis zum Schluss begleiten. Die Autorin, selbst als Sterbebegleiterin tätig, weiß sehr gut, wovon sie schreibt. Sie legt die Gefühlswelt eines Sterbebegleiters offen, der seinen ersten Einsatz hat und dabei bloß nichts verkehrt machen möchte. Bis er gelernt hat, dass er mit dieser Haltung gerade nicht das erreicht, was er sich erhofft, muss er einiges Lehrgeld zahlen. Die Angst vor Fehlern führt dazu, dass er anfänglich mehr mit sich beschäftigt ist und mit der kritischen Selbstreflexion über seinen Grad an Professionalität. Erst indem er davon ablässt und sich auf den Menschen einlässt, der eben nicht bloß ein Fall ist, sondern ein Mensch mit reicher Vergangenheit und komplexer Gefühlswelt, wird er zur Stütze für Karla. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch sein Sohn, der von Karla eine wichtige Aufgabe übertragen bekommt. Das, was Vater und Sohn und mancher Leser dabei lernt, sind vielleicht fundamentale Wahrheiten über das Leben, die erst angesichts des Todes sichtbar werden. So unterschiedlich die drei Charaktere auch sind, spüren sie, was sie unter der Oberfläche eint. Der Wert des Lebens und des Individuums mit all seinen Eigenarten strahlt umso mehr in den Momenten, in denen es vergeht und der Verlust spürbar wird. Das ist traurig, aber dennoch nimmt dieses Erlebnis, von dem Pásztor schreibt, demjenigen, der es erlebt, auch ein Stück von der Angst, die als Wurzel aller Ängste verstanden werden kann.

Am Beispiel von Karlas Entschluss, den sie am Ende fasst, ist zu sehen, dass Leiden am Sterben vor allem eines bedeutet: Nicht loslassen können. Indem sie Stück für Stück alles loslässt und bis zuletzt die Entscheidung darüber behält, was sie als nächstes loslässt, nimmt sie sich viel vom Leid und von der Angst, bis sie am Ende friedlich entschläft. So viel kann ich verraten, da der Ausgang schon am Anfang des Romans so wie auch am Anfang jedes Lebens bekannt ist. Und doch erscheint es am Ende nicht mehr wie ein Scheitern an einer Ausweglosigkeit, sondern eher so, als hätte Karla den Ausweg gefunden, dem sie mit Würde entgegenschreitet.

Susann Pásztor gelingt mit ihrem Roman ein kleines Meisterstück. Sie schafft es, leichtfüßig über ein sensibles und schweres Thema zu schreiben. Dabei lässt sie die Charaktere so menschlich und authentisch erscheinen, dass man meint, ihnen schon mal begegnet zu sein. Aus der Dynamik der so unterschiedlichen Individuen, die in dem Roman aufeinandertreffen, ergibt sich eine Spannung, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.