Rezension

Das Meisterwerk des Steven Uhly / Das beste Buch 2014

Königreich der Dämmerung - Steven Uhly

Königreich der Dämmerung
von Steven Uhly

Bewertet mit 5 Sternen

Es kommt spät im Jahr, aber doch ganz passend. Denn nun ist ja die Zeit der Bestenlisten, der tollsten Tollheiten des Jahres.
So also auch hier: dies ist es, mein absolutes Lesehighlight des Jahres 2014. Das Königreich der Dämmerung von Steven Uhly. Begeistert hat er mich schon mit dem Vorgänger ‘Glückskind‘. Doch dieses hier nenne ich jetzt mal sein Meisterwerk – Was soll denn danach noch kommen, Herr Uhly?!

Erzählt wird auf diesen fast 700 Seiten die Geschichte von Vertriebenen, Getriebenen und Suchenden, nach dem 2. Weltkrieg wurden diese Menschen Displaced Persons genannt. Und das wird mit einer so unglaublich beeindruckenden Sprache erzählt, dass dies wohl das Buch mit den meisten Markierungen in meinem Regal ist.
Das startet schon mit dem ersten Satz:

Er war einem hageren kleinen Mann in abgetragener Kleidung gefolgt, der niederträchtig genug schien, ein paar seiner Landsleute zu verraten.

Wir befinden uns in der Bukowina, im Grenzgebiet des heutigen Rumänien zur Ukraine. Zum Leidwesen des Folgenden wird der hagere kleine Mann aber keinen seiner Landsleute verraten, sondern vielmehr den Sturmbannführer Treitz um sein Leben bringen. Erschossen von Margarita, die sich daraufhin bei deutschen Aussiedlern verstecken kann, erst unter den Bodendielen, später im Keller und dort auch ein Kind gebiert, die kleine Lisa. Sie wird später und für einen großen Teil Ihres Lebens Lisa Kramer heißen, denn das ist der Name des Ehepaars, bei dem sich Margarita versteckt hat. Und nur Frau Kramer und Lisa werden es bis nach Deutschland schaffen, wo sie als Großmutter und Enkelin leben werden, bis zu dem Moment, an dem Lisa von Ihrer Vergangenheit erfährt.

Neben den ‘beiden’ Kramers folgen wir aber auch der Geschichte von Obersturmbannführer Josef Ranzner, der in der Nähe der Kramer in einem Ort residiert und sich eine jüdische Haussklavin hält. Der Sturmbannführer Treitz war einer seiner Lieblinge und er wird fortan einer Wiedergeburt Treitz’ suchen. Ranzner kann in den Nachkriegswirren unter falschem Namen ebenso nach Deutschland entkommen und taucht dort unter, ja arbeitet sogar beim Geheimdienst.

Und ebenso geht es hier um Anna, Ranzners Jüdin. Auch sie entkommt den letzten Zuckungen dieses Krieges und landet in einer Gruppe von jüdischen Flüchtlingen, die Palästina als Ziel haben.

Anna hatte ganz krumm vor Kälte in ihrem Sitz gesessen, die Arme umeinandergeschlungen, und hatte versucht, sich unvorstellbar viele tote Menschen vorzustellen. Vor Ihrem inneren Auge war eine Ebene aus Leibern bis zum Horizont entstanden, die Ebene hatte sich hochgewölbt, immer weiter, und war zu einem unbesteigbar hohen Berg geworden. Wo sind die jetzt alle, hatte sie sich gefragt und an die Wiedergeburt gedacht, in einem anderen Leben, als sie noch die Anna war, die sie kannte, nicht die fremde Frau, die jetzt in diesem Auto neben einem Juden saß, der sie nach Palästina bringen wollte, weil das seine Sache war, neben einem Juden, der genauso viele Deutsche ermorden wollte, wie die Deutschen Juden umgebracht hatten, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, Welches Gleichgewicht, fragte Anna sich, Auf welcher Waage?

Lisa, Anna und Josef Ranzner, das sind die drei Hauptfiguren dieses Panoramas eines zerstörten Kontinentes nach dem Weltkrieg. Von Lagerleben in Flüchtlingscamps, von Wohnungsnot und zerbombten Städten. Vom Wiederaufbau, von neu oder wieder entstehenden jüdischen Gemeinden schreibt Uhly ebenso wie vom entstehenden israelischen Staat auf palästinensischem Gebiet, und wie dem Krieg Entkommene dort in den nächsten Krieg schlittern.

Die Geschichte spannt einen Bogen vom letzten Kriesjahr bis in die 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts und bietet noch so viel mehr, als das hier kurz Angerissene. Neben den inhaltlichen Aspekten, die wohl einen literarisch eher unbefleckten Kapitel der Geschichte behandeln, die Geschichte der Flüchtlinge nach dem 2.Weltkrieg, erwächst die Größe dieses Buches auch aus seiner einzigartigen poetischen Sprache. Uhly bewegt sich auf dem manchmal recht schmalen Grad zwischen Prosa und Lyrik, teilweise verschwimmen die Grenzen (da wird schon mal ein Celan-Zitat in den Text eingestreut). Hut ab, Herr Uhly!

Für mich also definitiv das Buch des Jahres 2014. Leider mit keinem der großen Literaturpreise bedacht. Aber wer braucht schon das offizielle Juryurteil zur Qualität eines Buches? Dieses Urteil kann man sich am Besten immer noch selbst bilden.

(Beim Schreiben dieses Artikels überkommt mich auch schon wieder Lust, das Buch direkt noch einmal zu lesen. Jetzt heißt es hart bleiben, der SuB ist riesig, ihr kennt das…). Für euch aber gibt es noch die Möglichkeit, jungfräulich in dieses Meisterwerk einzutauchen, am Besten sofort!