Rezension

Das wahre Leben auf dem Bau

Schutzkleidung is nich! - Nicholas Grünke

Schutzkleidung is nich!
von Nicholas Grünke

Bewertet mit 5 Sternen

Zuallererst möchte ich mich bei dem Team von Lovelybooks bedanken, die mir dieses Buch im Zuge der "Bücher gegen Rezensionen"-Aktion haben zukommen lassen!
Ich hatte mich für einige Bücher beworben und insgeheim darauf gehofft, dass ich genau das gewinnen würde :)

Ich denke fast jeder hat einen Menschen im Freundes- und/oder Bekanntenkreis, der in irgendeiner Form auf dem Bau tätig ist oder war und somit hat auch fast jeder schon einige Geschichten über die herrschenden Arbeitsbedingungen gehört.
So ging es zumindest mir ;)
Ich hatte mal einen guten Freund, der im Straßenbau tätig war und mir regelmäßig Dinge erzählt hat, die von einem leichten Lächeln mit begleitetem Kopfschütteln über ein entsetztes Lachen bis hin zur Schnappatmung geführt haben. So kam es, das mir vieles in diesem Buch bekannt vorkam und ich oft lauthals gelacht habe.

Nach langem hin und her und sich stapelnden Rechnungen entschließt Nicholas Grünke sich schließlich die Arbeit auf einer Berliner Großbaustelle anzunehmen, die er von einer Freundin verschafft bekommt.
Zu Beginn geht er relativ blauäugig an die ganze Sache heran - wird aber schließlich immer wieder eines Besseren belehrt.

Kaum auf der Baustelle angekommen, wird ihm nach einer kurzen Einweisung (nach dem Motto: Learning by doing) ein Stemmhammer in die Hand gedrückt, mit welchem er Kappendecken durchbrechen soll.

"Immer schön gucken, wo de stehst. Musste aufpassen!"
"Mhm. Werd dran denken."
"Denken? Aufpassen sollste!"

(Seite 21)

Schnell muss er lernen, dass der Umgang untereinander ein deutlich anderer ist, als zwischen Künstlern und Kunsthändlern in irgendeiner Galerie. Die Menschen auf dem Bau sind eben ein völlig anderer Schlag und haben vollkommen andere Interessen.

"Wie heißt der Hund?"
"Hump! Von Humpen, weißte, Bierhumpen."
Von allen absurden Hundenamen ist dies wohl der bescheurtste aller Zeiten.

(Seite 31)

Etwas Groteskeres habe ich noch nicht erlebt. Da steht ein etwa 50-jähriger Palästinenser in Berlin auf einer Baustelleund entblößt seinen Oberkörper bei minus 15 Grad, um uns aus Bruderschaft oder was auch immer, sein abgewetztes Maria-Tattoo zu zeigen! Unfassbar!
(Seite 48)

Als Teil der Gameboy-Generation glaubte ich als Kind, alle Klempner wären ein bisschen so wie Super Mario. Aber der hier ist alles andere als super, und sein Kollege sieht auch nicht gerade aus wie der freundliche Luigi. [...] Nein, von denen rettet am Ende sicher keiner eine Prinzessin.
(Seite 55)

Bei allen Arbeiten fragt Nick (wie ihn seine Kollegen schnell "getauft" haben - und was ihm so gar nicht passt) immer wieder nach Schutzkleidung, erhält allerdings immer wieder dieselbe Antwort: Schutzkleidung ist schwul!

"Wieso Husten?"
"Na, man atmet den ganzen Scheiß doch auch ein! [...]"
"Und die Schutzmasken haben dann auch nichts genutzt?"
"Masken? Wir sind doch keine Memmen."

(Seite 116)

Allerdings muss er nach einer Weile auf dem Bau mit Entsetzen feststellen, dass auch er nun eine völlig andere Sichtweise hat.

"Das staubt ja extrem. Kann ich mir irgendwo 'ne Maske holen?"
"Stell dich nicht so an wegen dem bisschen Dreck", entgegne ich barsch und erschrecke mich im selben Augenblick über meine Worte.

(Seite 259)

Schreckten ihn diese völlig anderen Menschen am Anfang noch irgendwie ab, stellt er auch schnell fest, wie herzlich sie alle sind.
Schnell schließen sich Freundschaften, er wird zum Essen, Kaffee oder auch dem ein oder anderen Schnaps eingeladen und scheint seine Kollegen schnell irgendwie ins Herz zu schließen.

Dank ihnen wird er nicht nur von dem ein oder anderen Vorurteil befreit, sondern sieht auch seine eigentliche Arbeit, die Kunst, mit völlig anderen Augen.

Bei einer Gruppenausstellung in Antwerpen hatte ein befreundeter Künstler eine Mauer quer durch die Galerie gezogen. [...]
Nach über einem halben Jahr auf der Baustelle sah ich diese Installation nun mit anderen Augen.
"Warum hast du an der Oberkante einen Schlitz gelassen? Und warum legst du die Steine nur aufeinader, wenn du eine Mauer bauen möchtest?", frage ich Robin.
[...]
"Ja, stapeln! Das ist genau, was mich stört. Eine Mauer braucht Mörtrel. [...]"
"Hm, vielleicht hast du recht."
"Das nächste Mal helfe ich dir, das richtig zu mauern."

(Seite 127, f.)

Ehe er sich versieht ist ein Jahr um und der eigentliche "Übergangsjob" zu einer Routine und Selbstverständlichkeit geworden.
Doch Nicholas zieht es zurück. Weg von der Baustelle und zurück in sein altes Leben, in der die Menschen anders sind und die Arbeit weniger anstrengend ist.

Dem Autor ist ein wunderbares Buch über ein Jahr seines (Arbeits)Lebens geglückt, dass den Leser sowohl erheitert, als auch nachdenklich stimmt.
Spätestens nach dem Lesen sollte eine andere Sichtweise auf diese wirklich schwer arbeitenden Menschen geworfen werden und ihnen dann und wann mehr Verständnis entgegengebracht werden.

 

Die komplette Rezension findet ihr auf meinem Blog :-)

http://franzyliestundlebt.blogspot.de