Rezension

Definitiv KEIN Psychothriller

Wenn das Eis bricht - Camilla Grebe

Wenn das Eis bricht
von Camilla Grebe

Bewertet mit 2 Sternen

Die ersten 23 Seiten steigen direkt mit voller Spannung ein – ein wirklich brutaler Mord, Opfer unbekannt, Hauseigentümer des Tatorts vermisst. Aber das war‘s dann auch schon mit der Spannung.

Auf den folgenden ca. 400 Seiten lernt man die drei Hauptcharaktere, den Polizisten Peter, die Kriminalpsychologin Hanne und die Verkäuferin Emma, sehr detailliert kennen. Die Kapitel tragen jeweils den Namen desjenigen Charakters, der in diesem der Ich-Erzähler ist. Durch diese wechselnden Perspektiven ist es besonders leicht, sich in die Figuren hineinzudenken und mitzufühlen. Der Schreibstil ist insgesamt sehr flüssig und mitreißend. Durch diverse Rückblenden lernt man auch viel aus der Vergangenheit von Peter, Hanne und Emma, was es noch leichter macht, die Gegenwart zu verstehen. Es gibt viele kleine Handlungen im privaten und beruflichen Bereich, die durchaus interessant und manchmal vielleicht ein bisschen spannend sind. Durch diese vielen kleinen nebensächlichen Geschichten hat man jedoch das Gefühl, dass die Haupthandlung überhaupt nicht vorankommt. Die Ermittlungen laufen lange Zeit ins Leere und auch der Zusammenhang zwischen Emma und der Tat (und damit den ermittelnden, Peter und Hanne) bleibt lange unklar – besonders, da Emmas Erzählungen zeitlich leicht versetzt spielen. Nicht selten fragt man sich: „Und was sagt mir dieser Abschnitt jetzt?“ – durchaus unterhaltsam, aber mit einem Psychothriller hat das nicht viel zu tun. Im Gegenteil, man bekommt den Eindruck, dass dieser Begriff sich nicht, wie sonst üblich, auf einen (oder mehrere) psychisch kranken Täter bezieht, sondern eher ganz wörtlich auf die Psyche, das heißt den Geist, die Gedanken und Gefühle, der Charaktere.

Erst auf den letzten etwa 150 Seiten wird es wieder spannender. Einige der Lücken schließen sich und man kann das Ende schon erahnen – was dann die Auslösung wieder weniger erstaunlich und spannend macht. Auch der „Psycho-Aspekt“ wird etwas nachvollziehbarer. Dennoch bleiben am Ende viele Fragen offen. Etliche werden nur durch Andeutungen „beantwortet“ – beinah als könne sich jeder sein eigenes Ende zusammenreimen. Obwohl die Andeutungen in eine eindeutige Richtung weisen, wird kaum eine Frage, die im Laufe des Lesens aufkommt, wirklich eindeutig geklärt.

Ebenfalls unklar bleibt der Bezug zum Cover und Titel. Ja, die Handlung spielt im Winter – aber mehr auch nicht. Die Frage „Wann bricht das Eis, und was kommt darunter zum Vorschein?“ (siehe Klappentext) kann nur metaphorisch verstanden werden und somit kann jeder seine eigene Antwort finden. Die einfachste wäre wohl, wenn das Eis bricht, kommt die Wahrheit ans Licht und dann sieht man, wer wirklich zu einem hält und ob es gut oder schlecht ausgeht. Aber für so eine Antwort muss man dieses Buch nicht gelesen haben.

Wenn man den Klappentext und die Bezeichnung ‚Psychothriller‘ mal ignoriert, ist es wirklich ein gut gelungenes Buch. Die Autorin schafft es sehr detailliert in die Charaktere und ihre „eigenen Welten“ einzutauchen, lässt es sehr echt und glaubhaft wirken. Das Lesen kann durchaus Spaß machen, wenn man keine Erwartungen hat oder die Erwartungen ausblenden kann. Da die Erwartung ‚Psychothriller‘ jedoch nur auf etwa 200 der 600 Seiten erfüllt wird, gibt es an dieser Stelle von mir nur zwei Sterne.