Rezension

Deprimierende Poesie oder die Poesie der Depression?

All die verdammt perfekten Tage
von Jennifer Niven

Bewertet mit 3 Sternen

Das Thema dieses Buches ist schwierig und auch wichtig. Immer mehr Teenager kämpfen mit Depressionen und haben Selbstmordgedanken. Freunde und Angehörige stehen dem oft hilflos gegenüber. Hier wird der Ernstfall durchgespielt.

Wir haben hier zwei Teenager mit großen Problemen. Während Violet den Tod ihrer Schwester nicht überwinden kann, denkt Finch bei jeder Gelegenheit an Selbstmord und will nicht schlafen. Was sein Problem ist, erfährt man nicht genau. Ist er verrückt, depressiv oder beides? Warum? Auf jeden Fall ist er höchst originell und fantasievoll. Mit seinen ausgefallenen Ideen holt er Violet aus ihrem Schneckenhaus.  

Eigentlich ist diese Geschichte fesselnd, interessant und sehr dramatisch mit einer wirklich anrührenden Liebesgeschichte. Trotzdem hat sie mich nicht gepackt. Für mich hat dieses Buch in jeder Hinsicht eine Portion zu viel das Guten.
Die Protagonisten sind zu originell, um wahr zu sein. Finch ist der Traum von einem schwierigen Jungen, Violet eine geniale angehende Schriftstellerin in der Sinnkrise. Beide sind so gewollt tiefsinnig, dass man es kaum ertragen kann, werfen mit Buchzitaten um sich und lieben Virginia Woolf, sind ekelhaft begabt, Finch schreibt Lieder und schüttelt die Texte aus dem Handgelenk.
Man bekommt es mit einem Haufen großer Gefühle und maximaler Verzweiflung zu tun, die einen mitnehmen könnten, wenn man den Eindruck abschütteln könnte, hier sind die Figuren am Reißbrett entworfen worden. Ab und zu werfen sie mit dem Sch***-Wort um sich, um lebendig zu wirken. 

Nach dem Lesen dieses Buches habe ich das Gefühl, ich bin durch den allertiefsten Sumpf gewatet, immerhin! Nur bestand der Sumpf zu großen Teilen aus gewollter Poesie, Moral mit dem Holzhammer und grell leuchtenden Sinnbildern. Ich mag es deutlich dezenter. Hier trieft BETROFFENHEIT aus jeder Zeile, so dass die eigentlich wichtige Botschaft nur noch nervt. 

Bleibt die Frage, für wen ist dieses Buch geeignet? Immerhin begeistert es viele. Es ist ein Jugendbuch, ich kann mir aber keinen Jugendlichen vorstellen, dem ich dieses Buch an die Hand geben würde. Man muss wohl Lust darauf haben, sich sehr poetisch in tiefste Verzweiflung zu begeben. Und am Ende leuchtet der berühmte Silberstreif am Horizont nur sehr schemenhaft. Wenn man sich schon so intensiv mit der Suizidproblematik auseinandersetzt und keine Angst vor blumigen Schlenkern hat, hätte man auch ein wunderhübsch kitschiges Happy End verdient, das Hoffnung macht. Hier lernt man im günstigsten Fall ein wenig über Trauerarbeit.