Rezension

Der Apologet des Zynismus auf der Höhe des Lebensekels

Unterwerfung
von Michel Houellebecq

 

Nun ist das Erscheinen des Romans "Unterwerfung" etwa ein Jahr her - es ist bei manchen Büchern sicher nicht verkehrt, mit der Bewertung ein wenig zu warten. Die düsteren, wenig hoffnungsvollen Dystopien Houellebecqs wirken ja gern noch ein wenig nach und verändern sich in der eigenen Rezeption. Der äußeren Handlungsablauf ist bekannt und soll hier nicht mehr lange wiedergegeben werden, stattdessen mehr auf die Wirkungsweise des Textes eingegangen werden. Es ist viel über den angeblich islamophoben Charakter des Romans diskutiert worden, was angesichts früherer Aussagen des Autors keine Überraschung dargestellt hat. Der Erscheinungstermin des Buches in Frankreich fiel zeitlich auch noch mit dem Charlie-Hebdo-Massaker zusammen, was "Unterwerfung" eine zusätzliche Aktualität und wohl auch zusätzlichen Absatz beschert hat. Um auf der Houellebecq'schen Zynismusebene zu bleiben: der Verlag hätte sich selbst keine aufwühlendere Promotion-Aktion ausdenken können. Nun geht es in dem Roman ja aber keineswegs um die begangenen Gräuel maschenpistolenbewehrter Fusselbärte. Houellebecq zeigt vielmehr am Beispiel der islamistischen Machtübernahme, welche Konsequenzen ein abgrundtiefer gesellschaftlicher Werteverlust in den europäischen Kernländern haben könnte: die Massen sind bereit, für ein Wohlstands- und Sicherheitsversprechen des Staates alle persönlichen Freiheiten aufzugeben. Und die Intelligenzia (oder was sich dafür hält) sichert sich ihre Positionen durch grenzenlosen Opportunismus. Nach wenigen Wochen des Bürgerkriegs findet sich alles wieder im grünen Bereich ein. Der Protagonist, ein von Lebensekel, Sexsucht, Alkoholismus und Desillusion über sein eigenes kümmerliches, wenn auch finanziell abgesicherten Dasein geprägter Charakter verkörpert perfekt den Durchschnittsfranzosen der schwindenden Mittelschicht. Auch er läßt sich am Ende vom neuen System umdrehen - oder geschieht das nur scheinbar? Interessanterweise werden nämlich die letzten vier Seiten des Romans, auf denen die Wiederaufnahme des Ich-Erzählers an der Sorbonne als Professor stattfindet, in die Zukunft projiziert und im Konjunktiv erzählt. Das lässt Raum für Spekulationen. Houellebecq hätte seinen Stoff auch anhand einer Machtübernahme des Front National darstellen können - der Effekt wäre letztlich ein ähnlicher gewesen. Aber noch unbehaglicher wird es dem Leser in seiner Haut, wenn es eben anders kommt,  als er es selbst vorausberechnet hat. Der Autor entlässt uns mit der zynischen Frage, was nun eigentlich so schlimm an einer Entwicklung hin zur Aufgabe persönlicher Freiheiten wäre, solange Wohlstand, Status (des Mannes) und  die Möglichkeit zu Promiskuität und Alkoholmissbrauch im Verborgenen erhalten bleiben. Und der Beschäftigung mit dekadenten Autoren des 19. Jahrhunderts noch dazu, wenn man denn will. Vielleicht hat sich Houellebecq ja in Wahrheit mit "Unterwerfung" seinen ureigenen literarischen Himmel erschaffen - er, der ewige Agnostiker. Misanthropen werden jedenfalls auf ihre Kosten kommen.