Rezension

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Der Beginn einer lebenslangen Freundschaft

Meine geniale Freundin - Elena Ferrante

Meine geniale Freundin
von Elena Ferrante

Seit seinem Erscheinen im Jahr 2011 ist dieses Buch in Italien Kult und konnte auch den angloamerikanischen Buchmarkt im Sturm erobern. Nun erscheint der erste Teil der Neapolitaner Sage von Elena Ferrante, „Meine geniale Freundin“, über die Kindheit und Jugend der Freundinnen Elena und Lila im Suhrkamp Verlag auch endlich in deutscher Übersetzung.

Ein Buch über eine lebenslange Freundschaft und Konkurrenz.

Die Erzählung beginnt damit, dass sich eine Frau auflöst, nicht einfach nur verschwindet, sondern alles vernichtet, was auf ihre Existenz hindeutet. Dieses Ereignis nimmt die Ich-Erzählerin zum Anlass die gesamte Geschichte ihrer Freundschaft und Lebenswege aufzuschreiben.

Im Neapel der Nachkriegszeit wachsen die jungen Mädchen Elena und Lila in einfachsten Verhältnissen auf. Ihr Leben ist geprägt von der Aussichtslosigkeit auf sozialen Aufstieg, der täglichen Gewalt in und zwischen den Familien und dem damaligen Rollenbild der Frau, nach welchem sie später vor allem ihre Aufgaben als Mutter und Ehefrau zu erfüllen haben. Doch die beiden Mädchen sind ausgesprochen intelligent und gerade Lila treibt Elena immer wieder zum Lernen an, um über sich selbst und vielleicht irgendwann aus diesen ärmlichen Verhältnissen herauszuwachsen.

Der erste Teil der Sage beschäftigt sich  mit der Kindheit und Jugendzeit der beiden Freundinnen, vom ersten Annähern beim Puppenspielen bis zur Heirat der einen mit blutjungen 16 Jahren.

Um diesen Roman ist ein rätselhafter Hype entstanden, der wohl auch hauptsächlich darauf beruht, dass die Identität der Verfasserin ungeklärt ist. Gibt es Elena Ferrante wirklich oder ist sie nur ein Pseudonym? Zu Gesicht bekommen hat sie bisher noch niemand, aber ab und zu erscheinen schriftliche Interviews im Internet.

Ich bin gespannt, ob sich dieser Hype auch in Deutschland halten wird. Die anderen drei Teile der Saga werden zeitnah ebenfalls bei Suhrkamp erscheinen, was dem Erfolg der Tetralogie sicher zugute kommen wird, denn ein Teil der Spannung entsteht eben durch das chronologische Erzählen und eine Verzögerung der Fortsetzung könnte diesen Spannungsbogen nur zu leicht unterbrechen.

Wie ich die geniale Freundin letztendlich fand? Da bin ich immer noch sehr unschlüssig. Einerseits hat mich der Einstieg in die Erzählung sehr fesseln können, diese Vorstellung, dass ein Mensch sich im letzten Lebensabschnitt einfach auflöst und aus dem Leben anderer auslöscht. Sogar aus Fotos schneidet Lila ihr Gesicht heraus. Diese Kompromisslosigkeit und Vollständigkeit ihrer Auflösung ist beeindruckend und rätselhaft.

Die Schilderungen ihrer Kindheit artet dann leider oft in schlichte Nacherzählung aus. Das Wirrwarr der vielen Namen und Spitznamen ist verwirrend, ebenso die verwickelten Familienverhältnisse im Armenviertel. So heißt Lila eigentlich Raffaella Cerullo und wird von allen anderen, bis auf Elena, Lina gerufen. Elena Greco heißt dann in Wirklichkeit Lennucia oder Lenù. Diese Namensspielerei ist oft verwirrend und ermüdend. Bei den vielen Figuren, die das Viertel bevölkern, muss man deshalb immer wieder nach vorne ins Personenverzeichnis blättern.

Die Männerfiguren sind allesamt schrecklich, die alltägliche Brutalität oft ekelerregend. Elena Ferrante wird ein ungeschönter Blick auf das einfach Leben bescheinigt und gegen Ende steigert sich das Spannungsfeld aus den jahrelangen Rivalitäten, sodass man nur darauf wartet, dass ich die Gewalt wieder ihren Weg bahnt. Frauen sind entweder Nutten oder anbetungswürdige reine Wesen, denen aber unverhohlen nachgestellt wird und sobald das ein männliches Familienmitglied spitzkriegt, beginnt die Gewaltspirale von neuem.

Wirklich faszinierend fand ich aber die Figur der Lila, zu Beginn ein dürres, widerspenstiges Kind, das einen erstaunlich behände und regen Geist besitzt und so sein gesamtes Umfeld immer wieder düpiert. Mit der Ich-Erzählerin verbindet sie eine Freundschaft, die mal von inniger Zuneigung, mal von erbittertem Konkurrenzkampf geprägt ist. Für beide ist Bildung der Weg heraus aus dem Rione, aus der Armut und dem fremdbestimmten Leben, das die Männer ihnen auferlegen. Letztlich wird nur eine von ihnen den Weg raus aus Neapel finden. Die geistigen Duelle und das gegenseitige Antreiben zu immer weiteren Erkenntnissen, der Hunger nach Bildung sind die Highlights in diesem Buch. Besondere Momente von geistiger Klarheit und Schönheit angesichts der tristen Umgebung.

Die Sprache ist einfach und schnörkellos, leider aber zu selten poetisch. Fesseln konnte sie mich oft nicht, aber zum Ende hin entwickelt sich doch ein Sog, da man vermutet, dass die ganzen Entwicklungen unausweichlich in einem großen Knall hinzu gipfeln.

Verstehe ich den Hype um dieses Buch? Teilweise. Lila und ihr Lebensweg fesseln mich mehr als Elena und ich möchte unbedingt wissen, was noch geschieht und sie letztendlich zur Auflösung mit 66 Jahren treibt. Auch das Äußere des Buches verkörpert das sehnsuchtsvolle Zurückblicken auf das eigene Leben, romantisch verklärt und melancholisch zugleich.

Würde ich dieses Buch empfehlen? Durchaus, allein schon, damit man mitreden kann :-). Das Schöne an einem Hype ist doch, dass man sich mit so vielen verschiedenen Menschen über ein Buch austauschen kann – ein Gemeinschaftserlebnis und gemeinsames Mitfiebern mit den Figuren.